Heißer Winter in Texas
Gerade eben dachte ich noch, wie gern
ich jetzt einen Drink hätte.«
»Wunderbar!« sagte sie und schien es auch zu
meinen. »Gibt es ein Lokal, in das Sie besonders gerne
gehen?«
»Suchen Sie eins aus, und ich werde da sein.« Mir fiel
so schnell kein Laden ein, wo sie nicht mit ihren hohen
Absätzen auf einer Schicht von ausgespuckten Priemen
ausgerutscht wäre.
»Fein. Wie wär‹s mit dem Jagdraum im Warwick?«
»Klar. Ich brauche eine gute Stunde, um mich
fertigzumachen und hinzufahren. Ist Ihnen das recht?«
»In Ordnung«, meinte sie. »Bis in einer Stunde dann.«
Ich legte ganz ruhig auf. Eine munter hüpfende Anice
im Schlepptau marschierte ich besonnenen Schrittes ins
Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf, um mir
ein heißes Bad einlaufen zu lassen. Ich schluckte zwei
Aspirin und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo ich mit
aller gebotenen Sorgfalt den Inhalt meines
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Kleiderschranks musterte. Ich schaffte es, mich noch
weitere drei Sekunden lang in dieser abgeklärten
Manier zu beherrschen, bevor ich einen Luftsprung
machte, »Yippiiiie!« brüllte und Anice halb zu Tode
erschreckte.
Von dieser unglaublich schönen Frau angerufen und
zu einem gemeinsamen abendlichen Drink aufgefordert
zu werden war an sich nicht unwahrscheinlicher als
alles andere, was diese Woche mir beschert hatte. Es
war klar, daß sie mich nur überreden wollte, meinen Job
wieder aufzunehmen, aber die Aussicht, ihr einige
Stunden gegenüberzusitzen und sie anzusehen, war
enorm
verlockend.
Und
mit
Sicherheit
hunderttausendmal besser, als querstadtein hinter
widerlichen alten Gaunern in senfgelben Hosen
herzuspüren. Ich fühlte mich allmählich wie Alice im
Wunderland, während um mich herum alles mehr und
mehr unwirklich erschien. Was soll‹s? Ich entschied, daß
mir jetzt sowieso nur ein Kopfsprung ins Geschehen
blieb, da all mein Gegrübel zu absolut nichts geführt
hatte.
Ich war nervös wie ein Flohzirkus kurz vor dem
Auftritt und konnte mich nicht entscheiden, was ich
anziehen sollte, also öffnete ich die Haustür und hielt
kurz die Hand an die Luft. Es war wieder kalt
geworden. Entzückend. Ich wühlte braune Wollhosen
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und einen cremefarbenen Pullover aus dem Schrank.
Ausgiebig weichte ich mich in der Badewanne ein, bis
die Gliederschmerzen etwas nachließen. Zum ersten
Mal an diesem Tag entspannte ich mich ein bißchen.
Dann fiel mir Lily ein, und ich stieß einen unfreiwilligen
Schrei aus. Unter den gegebenen Umständen sah ich
keine Möglichkeit, Beherrschung zu üben. Anice
versteckte sich hinter der Kommode, überzeugt, daß ich
den Verstand verloren hatte (was zutraf), bis ich sie
hochhob, an mich drückte und ihr eine ausführliche
Liebeserklärung machte. Sie wedelte mit dem Schwanz,
sah erleichtert aus und stellte sich auf die Hinterbeine,
kaum daß ich sie auf den Boden gesetzt hatte.
Flugs zog ich mich an und befestigte meinen
Glücksdiamanten im linken Ohr. Meine Schuhe hatten
eigentlich ein bißchen Glanz nötig, aber dazu blieb
keine Zeit mehr. Ich verteilte ein paar Spritzer Parfüm
über mich und packte Mantel und Schlüssel. Anice
postierte sich an der Hintertür und wollte sehr
offensichtlich mitkommen. Ich erklärte ihr, daß sie
dazubleiben habe, aber ich brachte es nicht fertig, ihrem
Gesichtsausdruck zu widerstehen, also nahm ich sie
doch mit. Sie wartete immer noch lieber im Auto als
allein zu Hause.
Wir fuhren auf die Woodhead Avenue Richtung
Süden. Mein Mund war trocken wie eine
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Ausnüchterungszelle, und mein Herz hämmerte
fröhlich. Anice kam sofort auf meinen Schoß, stellte sich
auf die Hinterbeine und tapste ans Fenster, damit ich es
herunterkurbelte. Ich suchte ihr zu vermitteln, daß es
dafür zu kalt sei, zumal meine Haare noch naß waren,
aber sie blieb beharrlich und gewann. Weit
hinausgelehnt ließ sie Bart- und Brauenhaare fröhlich im
Wind flattern, und ihre Hinterbeine bohrten sich wie
Schraubstöcke in mein Bein. Wir brausten links rüber
und in die Richmond Street hinein. Ich war kribbelig
und auch nicht sicher, weshalb Lily mich nun angerufen
hatte, aber im Grunde war es mir egal. Ich war
verschossen. In Anbetracht der Umstände wollte ich das
eigentlich nicht, eine verheiratete heterosexuelle Frau
entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von guten
Aussichten. Gewöhnlich sehe ich bei solchen Frauen
kein zweites Mal hin. Aber sie hatte etwas an sich, was
alle Alarmglocken in
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