Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
der Küche zurück und ging nach oben. Ihr Schlafzimmerspiegel, der nicht bodentief war, sondern über der Kommode hing, sodass Mariann sich nur bis unterhalb der Taille darin sehen konnte, würde bestimmt nicht so einschüchternd sein wie der hohe in Bastiens Bad.
Trotzdem biss Mariann die Zähne zusammen, um sich zu wappnen, als sie sich ausgezogen hatte. Ihre Augen weiteten sich bei ihrem Anblick im Spiegel.
Sie war heiß. Mehr als heiß. Sie hatte Kurven – zum allerersten Mal in ihrem Leben. Verblüfft trat sie zurück und drehte sich zur Seite, um ihre Brüste und ihren Po zu begutachten. Jennifer Lopez brauchte keine Konkurrenz zu fürchten, aber auch sie – Mariann O’Faolain! – sah wirklich sehr gut aus. Sie strich mit einer Hand über ihren Bauch, den sie, sehr zu ihrer Erleichterung, nicht einzuziehen brauchte. Sie musste zugeben, dass sie das etwas Üppigere ihrer Figur gar nicht mal so schlecht fand. Mariann bemerkte zwar auch, dass sie keine Lightshow erzeugte wie Bastien vergangene Nacht, doch das mochte daran liegen, dass sie gerade erst verwandelt worden war.
Eins jedoch stand völlig außer Zweifel: Ihre Haut war unnatürlich blass, mehr cremefarben als weiß, aber dennoch nahe dran. Und wie hätte sie auch beurteilen können, ob sie für menschliche Augen nicht sogar schneeweiß aussehen würde?
Ich bin kein Mensch mehr, dachte sie und musste sich aufs Bett setzen, weil ihre Knie nachgaben. Ich bin kein Mensch, und wäre ich es, dann wäre ich jetzt tot.
Sie legte ihre Hand über ihr Herz. Trotz ihrer inneren Erregung schlug es ruhig und gleichmäßig hinter ihren Rippen. Neugierig geworden, hob sie die Beine an. Es waren schöne Beine – völlig haarlose Beine, was die Vermutung nahe legte, dass Vampire sich nicht rasieren mussten. Mit der Zeit würde sie sicher noch herausfinden, warum.
»Du musst die Regeln lernen«, sagte sie sich und erhob sich dann, um frische Sachen anzuziehen. Ihre Kleider waren enger, als sie es gewohnt war, aber sie sahen gut aus – sexy, wenn sie ehrlich sein sollte.
Arabella würde sterben vor Neid, wenn sie sie so sah.
Bei der Erinnerung an ihre Feindschaft rümpfte Mariann die Nase. Es Arabella heimzuzahlen, erschien ihr im Moment gar nicht so wichtig, egal, was dieses Biest ihr hatte antun wollen. Viel dringender war Marianns Verabredung mit ihrem Kühlschrank. Bastien konnte Espresso trinken … und Wein, soweit sie sich erinnerte. Bevor sie ihr altes Leben aufgab, wollte sie sehen, wie viel davon verloren war.
Wie ihr Opa zu sagen pflegte: »Wenn’s beim dritten Mal nicht klappt, starte einen vierten Versuch!« Diese Einstellung hatte ihn zu einem geduldigen Lehrer gemacht, und Mariann hoffte, dass sie sie heute Abend vor Kummer bewahren würde.
Das Foyer des Night Owl Inn war Bastiens bevorzugter Teil des Hauses. Dieser als Erstes renovierte Abschnitt war eine gemütliche gotische Eingangshalle mit sternenförmigen Rippen an der Decke und einem reich geschnitzten Eichensekretär, der wie ein Möbelstück aus einem alten Pfarrhaus wirkte. Obwohl es eine geschönte viktorianische Version des Mittelalters war, nahm Bastien keinen Anstoß an Ungenauigkeiten. Für ihn war der Stil eine Brücke zwischen der modernen Zeit und der seiner Geburt, das Foyer war ein Ort, an dem er sich zu Hause fühlen konnte, ohne wie ein Exzentriker zu erscheinen.
Hinter dem Sekretär warteten fünfzehn Fächer auf Nachrichten; davor würde ein Perserteppich müde Füße willkommen heißen. Bastien machte es nichts aus, dass er niemals bei Tag aus den längs unterteilten Fenstern blicken würde oder dass er einen Großteil der Geschäftsführung anderen würde überlassen müssen.
Es war seine Idee gewesen, aus diesem Bed and Breakfast einen Ort zu machen, wo Menschen aus dem täglichen Einerlei in eine andere Zeit eintreten konnten. Und sollte das Night Owl Inn auch nie einen Penny einbringen, würde er trotzdem stolz auf das Erreichte sein. In Bastiens Augen war sein größter Wert nicht, dass es eine potenzielle Einkommensquelle darstellte, sondern dass es ein Fenster zur Welt der Sterblichen war. Menschen und Upyrs teilten sich den Planeten. Damit seine Spezies überleben konnte, mussten mehr von ihnen lernen, ihre Mitbewohner zu verstehen. Den Upyrs , die seine Meinung teilten, würde Bastiens Tür stets offen stehen.
Das Ehrgeizige des Projektes raubte ihm gelegentlich den Atem – zum ersten Mal in tausend Jahren bekam er eine Ahnung davon, etwas zu leiten. Und
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