Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
auf den geräuschvollen alten Kühlschrank. »Sie sind so was wie meine warme Decke, dieses Haus und die Bäckerei. Das Einzige, was ich jemals wollte, war, wie mein Großvater zu sein. Daniel O’Faolain war ein wunderbarer Mensch, Bastien. Der Beste. Er hätte dir das Hemd gegeben, das er selbst am Leibe trug, und das letzte Plätzchen auf dem Teller. Er hörte einem zu, bis ihm die Ohren brannten. Meine Eltern waren nette Leute, aber von der Zeit an, als ich laufen konnte, war Opa mein bester Freund. Großmutter pflegte zu sagen, wir müssten in einem anderen Leben Zwillinge gewesen sein. Jedes Jahr kreuzte ich die Tage an, bis ich wieder herkommen durfte. Wenn ich die Bäckerei verlöre …«
Sie presste eine Faust auf den Mund und kämpfte gegen die Tränen an. »Würde ich die Bäckerei verlieren, wäre es so, als müsste ich ihn erneut hergeben. Bei allem, was ich tue, ist er bei mir. Alles, was ich weiß, hat er mir beigebracht.«
Trotz ihrer Bemühungen, sich zu beherrschen, liefen ihr Tränen über die Wangen, und ihre Stimme zitterte. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, zog Bastien sie an seine Brust.
»Mist«, sagte sie. »Entschuldige, dass ich so rührselig geworden bin.«
»Ach, mach dir deswegen keine Sorgen! Die Schultern eines Upyrs trocknen schnell.«
»Das habe ich schon gemerkt.« Sein Hemd dämpfte ihr Lachen. »Ziemlich praktisch, was?«
Er küsste ihr Haar und empfand eine solch überwältigende Zuneigung für sie, dass er selbst hätte weinen können. »Du wirst neue Dinge finden, die du lieben kannst. Ich weiß, dass es jetzt nicht danach aussieht, aber so wird es sein. Und in der Zwischenzeit werde ich alles in meiner Macht Stehende versuchen, um dafür zu sorgen, dass du so viel von deinem alten Leben behalten kannst wie möglich.«
Sie löste sich sanft von ihm, und ihre Augen glitzerten wie vom Regen geküsste Aquamarine, als sie ihn unter Tränen ansah. »Du bist wirklich gut zu mir«, sagte sie.
»Das ist nicht schwer«, versicherte er ihr.
Denn schließlich folgte er nur seinem Herzen.
6. Kapitel
M ariann lehnte sich an Bastien, und jetzt weinte sie nicht mehr, sondern genoss es, dass ihre Wange so wunderbar an seine Schulter passte, als wäre sie eigens dafür geschaffen worden.
Obwohl ihr Geruchssinn stärker ausgeprägt war als zuvor, roch Bastien noch besser: nicht nur nach Wald, sondern wie ein Mann – ein bisschen salzig und mit einem Hauch von Moschusduft. Genauso angenehm waren seine starken, aber sanften Arme, die sie umschlangen. Mit einem leisen, zufriedenen Seufzer lehnte er den Kopf an ihren. Falls sie sich je so geborgen gefühlt hatte bei ihrem Ex, konnte Mariann sich nicht daran erinnern.
Und auch wenn die Zufriedenheit, die sie empfand, vielleicht nur eine Illusion war, widerstrebte es ihr, Bastien gehen zu lassen.
»Diese Küche ist eine Katastrophe«, bemerkte sie ohne Gewissensbisse oder den Ehrgeiz, sie in Ordnung zu bringen. »Wenn jetzt jemand hereinkäme, würde er denken, ich sei von hungrigen Einbrechern überfallen worden.«
»Ich helfe dir, sie aufzuräumen«, schlug er vor.
Sie lächelte im Stillen, als auch er sich nicht von der Stelle rührte, aber dann fiel ihr Blick auf die Uhr am Herd.
»Oh, verdammt!«, schimpfte sie und richtete sich auf. »Es ist vier Uhr morgens. Ich müsste längst in der Bäckerei sein. Heather wird sich schon fragen, warum ich nicht in die Gänge komme.«
»Ich kann sie anrufen wie gestern und ihr sagen, dass du dich von deinem Unfall noch nicht ganz erholt hast.«
»Das ist unmöglich. Heather hat noch nie das Backen ganz allein … Oh, nein.« Mariann schlug sich an die Stirn. »Gestern Nacht. Da habe ich meine Schicht verschlafen.«
»Ich bin sicher, dass Heather gut zurechtgekommen ist«, meinte Bastien, doch Mariann stopfte bereits Müll in eine Tüte. »Lass mich wenigstens mitgehen. Du wirst meine Hilfe brauchen, um menschlich auszusehen.«
»Verdammt«, sagte sie, erneut verärgert, als ihr alles wieder einfiel, aber dann entschuldigte sie sich schnell. Sie war es nicht gewohnt, für Dinge wie diese auf andere angewiesen zu sein, wichtige Dinge, die sie nicht entbehren konnte. Ihre Nervosität ließ erst wieder nach, als sie nebeneinander über die Straße gingen und Bastien nach ihrer Hand griff.
»Du kannst dich auf mich verlassen«, sagte er, doch das war nicht das Problem.
Sich von ihm helfen zu lassen war viel zu leicht – und viel zu angenehm. Mariann spürte die Macht, die über die
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