Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
wie er schon behauptet hatte.
Und dann bestand eine gute Chance, dass die Jury – unter der sich vermutlich zumindest eine Person befand, die schon einmal alkoholisiert gefahren war, ohne erwischt zu werden – den Mistkerl freisprechen würde. Und wie George drauf war, würde er natürlich prompt die nächste Bar ansteuern, um zu feiern.
Grace hatte das alles schon erlebt – und wusste, dass sie es wieder und wieder erleben würde.
An den meisten Tagen schaffte sie es, ihrem Job nachzugehen, selbst in den schlimmsten Augenblicken. Sie hatte schon lange gelernt, ihre Emotionen abzuschalten und Tod, Dummheit und Schmerz hinter einem Schutzschild aus Zynismus auf Distanz zu halten.
Aber manchmal, wenn sie es am wenigsten erwartete, durchbrach ein Todesfall wie der von heute ihre Barrieren, und sie musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um nicht zu explodieren wie eine Rohrbombe mit einer Polizeimarke daran.
Halb in der Hoffnung, Lance wieder bei sich zu Hause vorzufinden, schloss sie die Eingangstür auf. Grace war nicht sicher, ob sie lieber mit ihm schlafen oder ihm eine Faust ins Gesicht stoßen würde, doch in ihrer derzeitigen Stimmung würde wahrscheinlich beides helfen.
Statt seiner erwartete sie ein großer, unförmiger Schatten im Wohnzimmer, als sie das Haus betrat. Sofort spannte sich jeder ihrer Muskeln an, und sie schaltete das Licht ein.
Der Schatten stellte sich als massiver Granitbrocken heraus, in dem ein Schwert steckte.
Grace richtete sich aus ihrer geduckten Haltung auf, die sie instinktiv eingenommen hatte, und nahm die Hand vom Holster.
»Okay, und was zum Teufel soll das sein?« Trotz ihrer Verärgerung durchflutete sie freudige Erwartung. Typisch Lancelot, ihr genau das zu geben, was sie jetzt so dringend brauchte!
Sie zog die Haustür hinter sich zu und ging zu dem Stein mit dem Schwert darin hinüber. Es überraschte sie absolut nicht, eine in den Stein geritzte Inschrift zu entdecken:
Wer das Schwert aus dem Stein zieht,
wird sehr viel Freude haben.
Ein Adrenalinstoß ließ ihr Herz schneller schlagen, als sie sich das Schwert ansah. Der schlichte, kreuzförmige Griff war unverziert, ohne die Juwelen und Runen, die sie auf verzauberten Schwertern wie dem Excalibur gesehen hatte. Nein, dieses hier sah genauso aus wie die stumpfen Übungsschwerter, mit denen Lance ihr das Fechten beigebracht hatte.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und ohne Zögern kletterte Grace auf den Stein und nahm den Schwertgriff fest in die Hand. »Du willst spielen, Lance?«, murmelte sie, während sie mit aller Kraft am Griff zog. »Na schön, dann lass uns spielen!«
Die Klinge glitt mit einer Leichtigkeit heraus, als hätte sie statt in Stein in Erdnussbutter festgesteckt. Doch kaum verließ die Spitze den Granit, explodierte ein grelles, kaltes Licht in Grace’ Augen, und geblendet wie sie war, wurde sie sich eines schwindelerregenden Gefühls bewusst, das sie als Übergang zu einer anderen Ebene erkannte. Es muss ein magischer Generator in dem Felsen sein, dachte sie.
Als die purpurroten Blitze vor ihren Augen verloschen, fand sie sich in einem riesigen Raum wieder, der sie an den Rittersaal einer mittelalterlichen Burg erinnerte, samt bogenförmigen Wänden und Fenstern und einer Wendeltreppe, die an einer Seite in die Höhe führte.
»Grundgütiger«, murmelte sie, als sie sich, das Schwert in der Hand, langsam im Kreis drehte. »Ich bin in einem Errol-Flynn-Film gelandet.«
Ein lautes, warnendes Quietschen ließ sie misstrauisch herumfahren, als sich eine massive Holztür langsam öffnete.
Es war Lance, der hereinspazierte. Er hielt ein Schwert wie das ihre in der Hand – das auch nur eine stumpfe Übungswaffe war, wie Grace bereits erwartet hatte.
Nur war er nie so gekleidet gewesen, wenn sie früher miteinander gefochten hatten.
Er trug nichts als einen ledernen Lendenschurz, kniehohe Stiefel und breite Lederbänder um Handgelenke, Oberarme und Schenkel. Seine Haut glänzte wie eingeölt. Ein solcher Aufzug hätte völlig lächerlich gewirkt bei einem anderen Mann, aber an Lancelots wie gemeißeltem Körper war er verführerisch wie die Sünde selbst.
Grace grinste ihn an. »Sieh mal einer an. Wenn das nicht Ledergott Ken ist!«
Lance erwiderte das Grinsen. »Tja, das würde dich dann wohl zu Bondage-Barbie machen, denke ich.«
Während sie ein Auflachen unterdrückte, blickte sie an sich herab und musste ihm recht geben. Auch sie trug nichts weiter als ein paar
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