Heldenklingen
anderen legte die Hand auf den Schwertgriff.
»Ruhig bleiben!«, rief Calder auf Nordisch und streckte abwehrend die Handfläche aus. »Nur die Ruhe!« Aber er wirkte nervös. Sollte er auch. Unser aller Leben steht auf Messers Schneide. Und mir ist das so was von egal.
Espe hingegen machte nicht den Eindruck, als ob er besonders besorgt sei. Er sah zu Gorsts Hand auf seinem Arm hinunter, dann wieder auf sein Gesicht, dann zog er die Braue über seinem gesunden Auge leicht in die Höhe.
»Kann ich Ihnen helfen?« Seine Stimme war das genaue Gegenteil von Gorsts. Ein raues, kehliges Flüstern, als ob zwei Mühlsteine aufeinandermahlten. Gorst sah ihn an. Ganz genau. Als ob er ihm mit seinen Augen Löcher in den Kopf bohren konnte. Dieses Gesicht, damals im Rauch. Er hatte es nur einen kurzen Augenblick gesehen, und sein Gegner hatte noch dazu eine Maske getragen und keine Narbe gehabt. Aber trotzdem. Seitdem hatte er es jede Nacht vor sich gesehen, in seinen Träumen, in seinen wachen Augenblicken und in den quälenden Phasen dazwischen. Jede Einzelheit hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Und ich bin mir beinahe sicher.
Er hörte, dass sich hinter ihm etwas bewegte. Hörte aufgeregte Stimmen. Die Offiziere und die Männer des Zwölften Regiments Seiner Majestät. Wahrscheinlich erzürnt darüber, dass sie an der Schlacht nicht beteiligt waren. Und die vielleicht ebenso begierig sind wie ich, an einer Neuauflage teilzunehmen.
»Oberst Gorst!«, ertönte nun Bayaz’ warnender Ruf.
Gorst ignorierte ihn. »Waren Sie jemals«, zischte er, »in Styrien?«
»Styrien?«
»Ja«, fauchte Gorst und verstärkte seinen Griff. Die zwei alten Männer, die Calder begleitet hatten, nahmen geduckte Kampfhaltung an. »In Sipani.«
»Sipani?«
»Ja.« Der Riese war mit einem weiteren langen Schritt näher gekommen und überragte Gorst nun höher als der größte Stein der Kinder. Und mir ist das so was von egal. »In Cardottis Haus der Sinnesfreuden.«
»Cardottis?« Espes gutes Auge verengte sich leicht, als er Gorsts Gesicht nun seinerseits ganz genau betrachtete. Die Augenblicke zogen sich in die Länge. Um sie herum fuhren die Männer sich nervös mit den Zungen über die Lippen, streckten schon die Hände aus, um bei Bedarf unverzüglich ein tödliches Zeichen zu geben, legten die Fingerspitzen an die Griffe ihrer Waffen. Dann beugte sich Espe nahe zu Gorst hinüber. Fast so nahe, dass er ihn hätte küssen können. Viel näher, als sie sich damals gewesen waren, vor vier Jahren, im Rauch.
Wenn sie es denn gewesen waren.
»Nie davon gehört.« Damit entwand er seinen Arm aus Gorsts Griff und marschierte hinaus aus dem Kreis der Kinder, ohne sich noch einmal umzusehen. Calder folgte ihm auf dem Fuße, wie auch die beiden alten Männer und die anderen Anführer. Mit einiger Erleichterung – oder, im Falle des Riesen, mit großem Zögern – nahmen sie alle die Hände von ihren Waffen.
Sie ließen Gorst stehen, allein vor dem Tisch. Und er wandte seinen grimmigen Blick zu den Helden.
Ich bin mir beinahe sicher.
FAMILIE
O ben auf dem Heldenberg war in vieler Hinsicht alles noch immer genauso wie in der Nacht zuvor. Die alten Steine standen noch genauso da wie immer, Moos und Flechten wuchsen auf ihnen wie immer, und das Gras innerhalb des Kreises war niedergetrampelt, schlammig und blutig. Die Feuergruben sahen nicht viel anders aus, und die Männer, die um sie herumsaßen, auch nicht. Aber Calder kam es trotzdem so vor, als ob sich ein paar ganz entscheidende Dinge verändert hatten.
Anstelle ihn entehrt seinem Schicksal entgegenzuschleifen, folgte ihm Caul Espe nun in respektvollem Abstand und wachte über sein Leben. Es wurde nirgendwo verächtlich gelacht, wenn er zwischen den Feuern entlangging, es gab keine gehässigen Rufe, keinen Hass. Alles hatte sich verändert, als der Schwarze Dow mit dem Gesicht voran in den Matsch gefallen war. Die großen Anführer und ihre gefürchteten namhaften Männer, die Carls mit den harten Fäusten, harten Herzen und harten Köpfen grinsten ihn an, als sei er der erste Sonnenstrahl nach einem verdammt harten Winter. Wie schnell sie sich der neuen Lage angepasst hatten. Sein Vater pflegte immer zu sagen, dass Männer sich selten wirklich änderten, es sei denn in der Frage, wem ihre Treue galt. Die wechselten sie wie die Hemden, je nach Erfordernis.
Trotz seiner zerquetschten Hand und dem genähten Kinn musste Calder sich keine allzu große Mühe mehr geben, um sein
Weitere Kostenlose Bücher