Heldensabbat
aber von diesem Eisenfuß, der die richtigen Querverbindungen hat.
Es empfiehlt sich wohl, künftig kürzerzutreten.
Mathilde Bertram ist sehr früh aufgestanden und hat sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt zurechtgemacht. Sie wirft einen letzten Blick in den Spiegel und sieht dabei in das Gesicht einer noch immer erstaunten Frau. Seit Jahren hat sie sich, zunächst unbewußt, dann immer zielstrebiger auf diesen Tag der Auseinandersetzung vorbereitet; dazu gehörte auch, den Wünschen ihrer Tochter – sie hatte sich ihnen immer wieder verschlossen – endlich nachzukommen.
Die Frau über vierzig war nach Sibylles Abreise nach Italien zu Mainbachs erstem Coiffeur gegangen und hatte sich die Haare modisch schneiden und tönen lassen. Anschließend verschönte eine Kosmetikerin ihr Gesicht. Korrigierte Augenbrauen, gefärbte Wimpern und ein dezentes Make-up wurden zum Blickfang.
Nürnberg war die nächste Station. In einem Modesalon deckte sich Mathilde Bertram mit neuer Garderobe ein. Das elegant geschnittene Kostüm ließ sie schlanker und größer erscheinen. Hochhackige Pumps lösten flache Absätze ab. Der alte Trachtenmantel ging mit dem anderen Abgelegten in die nächste Spinnstoffsammlung. Auch die zehn Jahre alte Geldbörse verschwand. Die Frau, die stets als hochherzige Stifterin für das Rote Kreuz und andere karitative Organisationen aufgetreten war, wurde auf einmal selbst zur Wohltäterin an sich selbst, überraschend feststellend, daß in ihr trotz langer Vernachlässigung noch eine heimliche Eva steckte. Es war auch Teil ihres Plans gewesen, ihren Mann, mit dem sie sich auseinander gelebt hatte, durch ihr Äußeres zu überrumpeln.
Die Dreiundvierzigjährige wirkt nicht mehr hausbacken und unterwürfig. Mathilde Bertram hat die Resignation, in der ihre Ehe versickert war, abgeschüttelt und ein wenig erschrocken und doch nicht unglücklich festgestellt, daß sie jetzt mehr einer Frau als Mutter gleicht, was nichts daran ändert, daß sie zur Tigerin würde, wenn es um ihre Kinder ginge.
Ein Viertel nach acht erscheint Heinemann, der Chauffeur, den bereits ihr Vater zu einer Zeit eingestellt hatte, als die »Bertrag« noch die Einzelhandelsfirma Schündler gewesen war; er bleibt mit offenem Mund stehen, als er seine Chefin sieht. Mathilde Bertram lächelt: Der erste Teil ist ein offensichtlicher Erfolg. Dr. Fendrich, der Wirtschaftsjurist, den ihr Vater als Alleininhaber der Schündler-Werke noch vor seinem Tod als Testamentsvollstrecker eingesetzt hat, liefert prompt die zweite Bestätigung, wie verblüffend Mathilde die Verwandlung geglückt ist.
»Gott, sehen Sie gut aus, gnä' Frau«, sagt der Mann mit dem Silberhaar, ein altgewordener Schwerenöter, der sich den Blick für das schöne Geschlecht bewahrt hat. »Es war ein Verbrechen wider sich selbst, jahrelang als altbackenes, nachgiebiges Heimchen am Herd aufzutreten, wenn man so aussehen kann.« Er betrachtet seine Klientin von oben bis unten, schüttelt den Kopf. »Einfach unglaublich«, setzt er hinzu. »Gratuliere!«
Sie rollen über Erlangen nach Süden, erreichen die Autobahn nach München. Heinemann könnte den schweren Mercedes schneller fahren, aber es ginge gegen seine Prinzipien; er ist das Faktotum der Firma, zuverlässig und verschwiegen. Er sieht und hört viel, aber nie würde es ihm einfallen, darüber zu tratschen.
Dr. Fendrich sieht auf die Uhr. »Schätzungsweise gegen zehn Uhr fünfzehn werden wir schon in München sein«, sagt er.
Frau Bertram nickt. »Sie verhalten sich, wie wir es abgesprochen haben, Doktor«, bittet sie den vertrauten Juristen. »Sie weichen nicht von meiner Seite. Es gibt kein Gespräch mit meinem Mann unter vier Augen. Und Sie treten Ihren Part erst an, wenn ich Sie ausdrücklich dazu auffordere.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, erwidert er. »Seit langem hab' ich auf diesen Tag gewartet. Sie hätten ihn mindestens fünf Jahre früher haben können, Gnädigste.«
»Hauptsache, es ist noch nicht zu spät«, entgegnet die Angreiferin. »Sie haben ja mein Pulver trocken gehalten. Und nennen Sie mich bitte nicht mehr Gnädigste.«
Der Wagen erreicht den Ostbahnhof. Der Pförtner der »Bertrag« erkennt Heinemann und öffnet die Schranke. Dr. Fendrich hatte schon öfter in der Münchener Zweigniederlassung zu tun. Seine Mandantin betritt sie zum ersten Mal, nur wenige Minuten nach dem Eintreffen ihres übernächtigten Mannes, der gestern in Starnberg so zügig auf künftige Wonnen getrunken
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