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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Namakan wahrscheinlich niemals den Mut gefunden, sich ihnen weiter zu nähern. Ihre Bewegungen ähnelten eher dem geruhsamen Schwanken und Neigen von Wasserkraut, das in der sanften Strömung eines Bächleins gewiegt wurde.
    »Ist das die richtige Stelle?«, fragte Namakan seinen Meister. »Ich sehe keinen Durchgang.«
    »Es ist wie mit einem schönen Busen«, erklärte Dalarr, die Arme in die Hüften gestemmt. »Jede Stelle ist so gut wie die andere.«
    »Das kann schon sein«, meinte Morritbi. Sie hatte den Kopf schiefgelegt, als würde sie dem Flüstern des Feuers lauschen. »Aber die Geister dieses Buschs sind unruhig. Wie werden wir sie besänftigen? Mit Blut?«
    Kjell kniff die Augen zusammen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Wurzel seiner stolzen Nase. »Wenn wir bis zur nächsten Nacht warten, finde ich vielleicht einen Weg da durch. Wohl ist mir bei dem Gedanken allerdings nicht. Diese Dornen wären dann ja genauso lang wie ich als Ratte.«
    »Und was, wenn wir in einer Richtung daran entlanggehen?«, schlug Ammorna vor. Sie deutete mit dem Daumen erst zur einen, dann zur anderen Seite. »Das Gestrüpp ist womöglich nicht überall so dicht.«
    »Nur zu«, ermunterte sie Dalarr. »Lauf ruhig los. Tu so, als wäre das hier ein ganz gewöhnlicher Strauch und nicht eine von Zauberhand geschaffene Grenze, für die die Regeln von Zeit und Raum gebeugt wurden. Wer weiß? Mit etwas Glück finden wir dein Gerippe, wenn wir später aus der Hecke treten, sobald wir die Elfen wieder verlassen.«
    »Aber was machen wir dann?«, wollte Namakan wissen. Ammorna kennt ihn wirklich gut. Es stimmt. Er hat eine wahre Freude daran, sich als Schausteller aufzuführen.
    »Es ist ganz einfach«, sagte Dalarr gönnerhaft, ehe er sich zur Hecke hinwandte. Er räusperte sich, legte die Hände um seinen Mund wie ein übereifriger Marktschreier und rief: »Atschil Bekischak!«
    Nichts geschah, außer dass am Waldrand ein paar erschrockene Vögel aus den Bäumen aufflogen.
    Dalarr taxierte das Gestrüpp einen Moment, als könnte er es nur mit seinen Blicken durchbohren und so einen brauchbaren Durchgang schaffen. Dann runzelte er die Stirn. »Dridd!«
    Was hat er erwartet?, wunderte sich Namakan. Dass sich die Hecke mir nichts, dir nichts auflöst? Dass eine Gesandtschaft der Elfen darüber hinweggeflogen kommt? Was?
    »Atschil Bekischak!«, rief Dalarr ein zweites Mal. Lauter, ungeduldiger und mit einer anderen Betonung der fremdartigen Silben.
    Es tat sich nichts, außer dass Morritbi sich ein Kichern nicht verkneifen konnte und Ammorna etwas von »Prahlhansen und Pfauenhähnen« murmelte.
    Dalarrs Miene verfinsterte sich weiter. Namakan kannte diesen halb zornigen, halb enttäuschten Ausdruck, der immer dann auf seine Züge trat, wenn sich das Skaldat nicht nach seinem Willen mit dem geschmolzenen Metall verband.
    »Atschil Bekischak! Atschil Bekischak!«, brüllte Dalarr trotzig aus voller Lunge. Darauf folgte ein Raunen hinter zusammengebissenen Zähnen. »Pack mir einer an den Beutel. Seid ihr taub auf euren spitzen Ohren?«
    Namakan wappnete sich schon gegen erneuten Spott von Ammorna, da ertönte ein überraschtes »Beim heißen Atem meines Vaters!« von Morritbi.
    Die Hecke durchlebte eine erstaunliche Verwandlung. Unmittelbar vor ihnen begannen die Ranken sich nun heftiger zu bewegen, wie wenn sie Dalarrs Brüllen eingeschüchtert hätte. Raschelnd und schabend wichen sie an einer Stelle immer weiter auseinander, bogen und spannten sich hierhin und dorthin, bis zu erahnen war, was sie damit bezweckten: Sie formten einen Durchlass, eine Art Torbogen, an den sich ein gewundener Gang durch das trockene Gestrüpp anschloss.
    »Nun denn.« Dalarr rieb sich die Hände und schritt auf die Öffnung zu. »Wollen wir doch einmal nachsehen, was da so lange gedauert hat.«
    Die dornigen Ranken wuchsen dicht genug, dass kein Sonnenlicht den Weg durch dieses verworrene Gestrüpp fand. Es wäre ein düsterer Marsch für die Wanderer geworden, wenn nicht Ammorna gewesen wäre. Sie wisperte ein Gebet an ihre Göttin, und Krokas Macht brachte ihren Krallenstab zum Leuchten.
    Verirrt hätten sich Dalarr und seine Begleiter jedoch in keinem Fall, denn es zweigten von diesem Durchgang keine anderen Wege ab. Dafür schien er regelrecht dazu gemacht zu sein, Dalarrs Einschätzung über die Abneigung der Elfen gegen alles Gerade zu bestätigen. Anstatt in einer klaren Bahn durch die Hecke zu stoßen, wand sich der Gang, als wäre er die

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