Heldenwinter
nur für diejenigen auf, die das Vertrauen der Kal Majul erworben haben?«
Die Frau lächelte, und obwohl es ein spöttisches Lächeln war, machte es ihre Züge sanfter. Namakan erkannte, dass sie wesentlich jünger war, als es ihre kriegerische Erscheinung vermuten ließ. Sie konnte höchstens ein paar Sommer mehr als Morritbi gesehen haben, vielleicht so viele wie Kjell. »Du glaubst also, dein Rufen hätte die Setom Kisch geöffnet? Bist du dumm? Wie oft hast du rufen müssen?«
»Dreimal.« Dalarr nahm die Beleidigung hin, anstatt aus der Haut zu fahren, und sein Tonfall wurde nachdenklich. »Dreimal. Ich dachte …« Er geriet ins Stocken. »Flikka mek, das alte Wort öffnet die Hecke gar nicht mehr. Ihr habt ein neues Wort dafür ausgewählt. Und ich dachte, ich hätte nur Mühe, nach all der Zeit die Sprache deines …« Ein neuerliches Stocken. »Du bist doch ein Kind des Dunstes? Oder?«
Ihr Lächeln wurde breiter und abschätziger zugleich. »Hätten mir die Atschan Tschajinel gehorcht, wenn ich das nicht wäre?«
»Ich mische mich nur ungern ein.« Ammorna hob die Hände, als wäre der Bogen der Frau auf ihr Herz gerichtet.
»Halt dich da raus, Nebelkrähe!«, knurrte Dalarr.
»Unser unwissender Führer«, sagte Ammorna unbeirrt, »hat uns recht glaubhaft versichern können, euer Reich schon einmal betreten zu haben. Vor vielen Sommern, in friedlicher Absicht. Ich nehme an, ihm war nicht bewusst, wie es euch seitdem ergangen ist, aber ich bin überzeugt, es trifft ihn schwer, all diese Verwüstungen zu sehen. Ist es nicht so?«
Dalarr nickte stumm.
Die Frau musterte Ammorna kurz, ohne den Bogen sinken zu lassen. Dann wanderte ihr Blick über Kjell, an dem er um einiges länger haften blieb, dann zu Morritbi und schließlich zu Namakan. Ihre dünnen Augenbrauen, zwei messingfarbene Striche auf bleicher Haut, zuckten.
Was sieht sie mich so merkwürdig an? Stimmt etwas nicht mit mir? Oh … das muss es sein. Sie hat noch nie einen Halbling gesehen. Namakan bemühte sich um eine freundliche Miene. Sie hat schöne Augen. Groß und … Seine Züge entglitten ihm zu einer Maske des Staunens. Eins ist grün, das andere gelb!
»Sind da nicht zwei unter euch, die nicht das sind, was sie scheinen?« Sie reckte fordernd das Kinn.
»Das ist richtig«, antwortete Ammorna hastig. Sie drehte sich – die Hände nach wie vor erhoben – zu Kjell. »Auf diesem jungen Mann lastet ein Fluch, der ihn jede Nacht in die Gestalt einer Ratte zwingt. Aber er stellt keine Gefahr für sich oder andere dar, das schwöre ich im Namen aller Götter.« Ammorna nickte mit dem Kopf in Dalarrs Richtung. »Und was der alte Wanderer ist, soll er dir selbst erklären.«
Einer der brennenden Wächter brach in einem Funkenregen in sich zusammen, und sein Kopf rollte Namakans Meister vor die Füße. Dalarr seufzte. »Hör zu«, sprach er die Frau an. »Du solltest deine Freunde wirklich dringend löschen. Und du solltest wissen, dass ich nur hier bin, um einem guten Freund einen Besuch abzustatten. Galt Songare. Ein Mensch wie wir. Er hat das Herz einer Elfe gewonnen. Nimarisawi heißt sie. Wo finde ich Galt?«
Das spöttische Lächeln auf den Lippen der Frau mit dem Bogen starb einen jähen Tod. »Ist das nicht eine Frage für meine Mutter?« Eine vorwurfsvolle Trauer lag nun in ihren Worten. »Ist das nicht eine Frage für Nimarisawi?«
Das Innere der Halle der Zusammenkunft hatte nicht weniger gelitten als ihr Äußeres. In den gewundenen Gängen, die zu ihrem Mittelpunkt führten, wucherten abgestorbene Triebe aus verrottendem Holz, und mehrfach mussten die Wanderer Stellen ausweichen, an denen der Boden sichtlich morsch oder gar schon eingebrochen war. Die Luft roch nach Moder, verfaulten Blüten und vergessenem Aas. Der Zerfall, so schleichend er auch wegen der Kälte voranschreiten mochte, machte offenkundig nicht einmal vor dem Allerheiligsten der Kinder des Dunstes Halt.
In dem Saal, in dem die Wanderer schließlich ankamen und dessen Decke sich in luftiger Höhe verlor, sahen sie die Knospe und den Stein, dem das Bauwerk seine Form verdankte. Die verdorrten Blätter der Knospe hingen schlaff und braun herab wie gegerbte Häute, und der Stein war von einem Netz aus Rissen überzogen, wo der unnachgiebige Frost seine eisigen Zähne in ihn geschlagen hatte.
»Nan? Empfängst du Besucher?«, rief die Frau, die sie hierhergeleitet hatte, in die Stille hinein. Und noch einmal: »Nan?«
Hinter der eingegangenen Knospe trat
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