Heldenwinter
Geister der Starre? Geister des Hasses? Fielen sie über unser Land her und raubten ihm alle Wärme, alles Lebendige und alles Schöne? Trotzte nur das Toschoschik Sibal mit seinem Rauschen und Tosen dieser Heerschar des Bösen? Griffen wir zu den Waffen und wirkten wir unsere Zauber, um uns ihr entgegenzustemmen?« Nimarisawi wandte sich der Bahre zu und strich Galt übers Haar. »Zog mein Geliebter sein Schwert und warf sich in die Bresche? Streckte er ein halbes Dutzend der gedungenen Mörder nieder? Sang er stolze Lieder zu ihren Schreien? Badete er sie in ihrem Blut?«
»Er hat sicher tapfer gekämpft«, sagte Dalarr. »Doch der gute Tod auf dem Schlachtfeld blieb ihm verwehrt.«
»Wäre es ein guter Tod gewesen?« Nimarisawi fuhr herum und schleuderte ihren Stock von sich. »Musst du so etwas sagen, Dalarr, weil du ein Tegin bist und ihr euch nach nichts mehr sehnt als nach einem Ende? Auch wenn ihr immer beteuert habt, das Leben zu lieben und seine Hüter zu sein? Was zählt eine gewonnene Schlacht, in der man seinen Liebsten verliert? Drängten wir die Horde Skra Guls zurück? Zähmten wir seine Geister? Und was hat es uns genutzt? Was hat es mir genutzt? Was hat es Galt genutzt? Ertrug Waldur seine Niederlage? Schoss er einen seiner Pfeile, deren Spitzen er aus dem schmutzigen Dreck formte, den ihr Menschen Skaldat nennt? Aus Kowilasch Ulef? Aus der Erde der Macht? Traf sein schwarzer Pfeil meinen Liebsten und bohrte sich in seine Schulter? Saugte er ihm jegliche Kraft aus? Sank er darnieder und rührte sich nicht mehr, obwohl sein Herz noch schlug? Verdammte es mich nicht zur Hoffnung, er könnte sich wieder erheben, wenn meine Liebe zu ihm nur stark genug ist? War sie stark genug?« Nimarisawi schluchzte und ging vor der Bahre auf die Knie. Sie fasste nach Galts Arm, um flehend daran zu schütteln. »Warum erhebst du dich nicht? Warum machst du mich einsam? Warum?«
»Nan?« Mit den strengen und dennoch sanften Bewegungen, mit denen man ein tobendes Kind beruhigt, brachte Tschumilal ihre Mutter dazu, von ihrem Vater abzulassen. »Wie willst du ihn wecken, Nan? Ist er nicht taub für jede Bitte?«
In der kleinen Weile, die es dauerte, bis Nimarisawi sich so weit wieder gefangen hatte, dass ihre Tränen versiegten, nahm Namakan Morritbi in den Arm. Er wollte unbedingt ihre Stimme hören, weshalb er sagte: »Es gibt etwas, das ich an ihrer Geschichte nicht verstehe.«
»Was?«
»Die Elfen haben die Geister doch gebändigt. Trotzdem ist ihr ganzes Reich immer noch verwüstet und kalt.«
»Ach, Namakan.« Morritbi drückte sich enger an ihn. »Manchmal könnte man meinen, du hättest eine hohle Nuss auf den Schultern. Nur weil man einen Geist bändigt, macht man seine Taten noch lange nicht ungeschehen. Wenn du Holz in ein Feuer wirfst und das Feuer danach irgendwann ausgeht, verwandelt sich dann die Asche wieder in Holz?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Eben.«
Dalarr half Nimarisawi auf. »Warum seid ihr allein? Wo sind die anderen?«
»Die anderen?« Die Elfe geriet erneut ins Wanken, doch dank Dalarrs Arm als Stütze hielt sie sich aufrecht. »War alles gut, als die Schlacht vorüber war? Schalten die anderen mich und verfluchten meinen Namen, weil ich es gewesen war, die Skra Gul zu uns gelockt hatte? Weil ich es gewesen war, die einem Ischik Banolkasch, einem bösen Traum, einem Menschen verfallen bin? War ich nicht die, die einen Zauber wirkte, den ich nie hätte wirken sollen?«
Sie haben ihr die Schuld an allem gegeben, nur weil sie sich in Galt verliebt hat!, empörte sich Namakan. Als ob sie hätte ahnen können, dass Waldur kommt … als ob sie gewollt hätte, dass er ihre Heimat schändet.
»Fühlten sie so entsetzliche Trauer über das, was uns und unserem Reich angetan worden war, dass sie nicht länger in der starren Welt bleiben wollten?« Mit einem Mal blickten Nimarisawis Augen in die gleiche Leere wie die ihres Geliebten. »Zogen sie zum Toschoschik Sibal, um wieder eins mit dem zu werden, woraus sie geschaffen waren? Verklang sein Rauschen und Tosen mit jedem, der den Sprung wagte, ein wenig mehr, bis seine Wasser ganz zu Eis gefroren? Trugen viele dabei einen Gefallenen auf ihren Armen, den sie mit sich nehmen wollten, um ihn in das neue Leben zu holen?«
Das kann nicht sein! Namakan konnte nicht mehr an sich halten. »Sie haben sich alle den Wasserfall hinuntergestürzt? Sie haben sich alle umgebracht bis auf dich?«
Nimarisawi bedachte Namakans Erschütterung mit einem
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