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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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auf dem jeder edle Stein, der je im Bauch der Erde gewachsen war, zu funkeln schien; ein wahres Arsenal an Waffen und Rüstungen, die alle den unverkennbaren Schimmer des Skaldats zeigten …
    Erst auf den zweiten Blick wurde Namakan klar, dass die Nischen nicht nur Kostbarkeiten beherbergten. Auch alltäglichere Gegenstände waren dort verwahrt: Pfeifen, Taschen, Handschuhe, Umhänge, kleine Töpfe und Pfannen, Angelruten – schlichtweg alles, was sich bei einem niemals enden wollenden Leben auf der Wanderschaft als nützlich erweisen konnte.
    »Hier findet jeder seinen Platz«, sagte Dalarr, lauschte offenbar kurz dem Widerhall seiner Worte und schritt dann auf das Erschütterndste zu, was es in der gewaltigen Halle zu sehen gab: Reihen um Reihen von niedrigen Bahren, auf denen nackte Leichname lagen. Sie waren schwarz wie die Leichen, die man manchmal beim Torfstechen aus dem Moor grub. Männer und Frauen, Kräftige und Schmächtige, Dicke und Dünne, Kleine und Große, Junge und Alte …
    Nein, dachte Namakan, als er seinem Meister nachging. Sie sind alle alt gewesen. Uralt. Das Äußere zählt beim Volk meines Meisters nichts, wenn man sich fragt, wie viele Sommer jemand schon gesehen hat. Sommer zählen für sie nichts. Sie messen ihr Alter bestimmt nicht in Sommern. Wir messen unseres doch auch nicht in Atemzügen. Namakans Blick schweifte über die toten Tegin, und er stellte fest, dass er sich in einer Sache getäuscht hatte. Sie sind nicht schwarz vor Verwesung. Es sind ihre Hautschriften. Sie sind über und über davon bedeckt. Sie tragen die Kunde von ihrem langen Leben noch im Tod, mit Skaldat in ihre Haut gestochen.
    Tiefer und tiefer ging Dalarr in die Halle hinein, bis er die erste Reihe von Bahren erreichte, die noch leer waren. Nun bemerkte Namakan, dass auf dem leicht erhöhten Kopfende jeder Bahre ein Dorn aus schwarzem Skaldat saß, fingerlang und garstig spitz, wie der Sporn am Fuß eines Hahns. Wenn man sich auf so eine Bahre legt … dieses Ding … es muss sich einem dann in den Kopf bohren. Hinten … über dem Nacken. Namakan wurde schwindelig. Er erinnerte sich daran, was sein Meister bei dem langen Geständnis über seine wahre Natur darüber erzählt hatte, wie die Tegin für gewöhnlich aus der Welt schieden. Der eine tötet den anderen, hat er gesagt. Oder einer beschließt … dass es genug ist. Das hat er gemeint. Die Mittel, die nur sie verwenden, weil keine anderen Geschöpfe so sind wie sie.
    Dalarr blieb lange, lange vor einer der freien Bahren stehen, mit gesenktem Kopf und die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Namakan musterte seinen Meister genau. Dessen Züge hatten eine Jugend wiedererhalten, die Namakan nach wie vor fremd war, doch Dalarrs Augen konnten sein Alter nicht verleugnen. Und nun waren sie mit einem Mal zu den Augen eines müden Greises geworden, der sich nach einem weichen Bett sehnte, von dem er sich nie mehr zu erheben brauchte.
    Ein Scheppern und Klappern riss Dalarr aus seiner Starre. Sein Kopf ruckte hoch, und seine Stimme donnerte. »Flikka mek! Eisarn Bairasunus, du Nachgeburt einer räudigen Hündin! Du eitler, gieriger Frevler. Was habe ich dir draußen gesagt?«
    »Du redest viel, wenn der Tag lang ist«, giftete der Zwerg zurück, das Gesicht rot vor Scham oder Entrüstung. Er stand vor einer der Nischen, und um seine Füße häuften sich die Einzelteile einer Rüstung. »Tauchst aus dem Nichts auf, schleifst mich hierher und verschwendest nicht mal einen einzigen Gedanken daran, dass ich nicht einmal einen Zahnstocher habe, um meinen fetten Hintern zu verteidigen! Das ist der echte Frevel hier! Ein schöner Freund bist du.« Er wedelte mit einer wuchtigen Waffe, die er offenkundig aus der Nische gezerrt hatte – einem Kriegshammer aus blauem Skaldat, dessen Kopf zwei brüllenden Löwen nachempfunden war. »Mir war die freie Auswahl aus Arvids Schatzkammer versprochen. Ich nehme mir nur, was mir zusteht.«
    »Sieht das hier etwa aus wie Arvids Schatzkammer?« Dalarr ballte die Fäuste und steuerte schnurstracks auf den Zwerg zu. Namakan hastete ihm hinterher.
    »Ich habe keine Ahnung, wie es da aussehen könnte«, grantelte Eisarn. »Ich hatte ja leider nie die Ehre.«
    »Na warte, du Ratte!« Dalarr hob die Faust zum Schlag.
    Eisarn reckte ihm das Kinn entgegen. »Nur zu! Hau mir ruhig den Schädel zu Klump! Wollen doch mal sehen, wie du die Kiste ohne mich aufkriegst.«
    »Dridd!« Dalarr bremste sich und hieb mit der flachen Hand klatschend

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