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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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eine Handvoll Kinder – mal Knaben, mal Mädchen –, und er verspricht, dass er ihnen jenseits der Mauern ein neues Zuhause sucht. Doch er hat bei der Auswahl der Kleinen ein Funkeln im Blick, von dem man sich abwenden muss, wenn man weiß, was Sitte und Anstand sind.«
    »Diese götterlosen Missgeburten am Tor lassen niemanden mehr herein«, fluchte ein gebeugter Greis. »Sie sagen, sie wollen nicht, dass Spitzel der Barbaren es in die Hauptstadt schaffen. Sehe ich etwa aus wie jemand, der sein Pferd ficken würde? Stehen meine Augen so schief? Das ist alles nur eine Ausrede. Ich habe gehört, bei der Nachtwache gibt es einen, der alle mit blauen Augen trotzdem hereinlässt. Andererseits … salben die Alchemisten nicht Amulette zum Schutz vor bösen Geistern mit dem Gallert von blauen Augen?«
    »Wenn der König hier wäre, müssten wir nicht im Schlamm verrecken«, greinte ein pickliger Jüngling. »Er würde uns nicht im Stich lassen. Aber er ist schon auf dem Weg zur Feste Kluvitfrost, heißt es, um die Barbaren zu zähmen. Er hat einen Statthalter eingesetzt, einen Krieger in einer weißen Rüstung. Ich habe ihn gesehen. Dort drüben auf diesem Turm hat er gestanden. Er hat mit einer Schleuder einen Schinken ins Lager geschossen. Und ich schwöre euch, er hat mit den Soldaten auf den Zinnen gescherzt und gelacht, als er dabei zusah, wie wir uns um ihn geprügelt haben.«
    Die Aussagen des Jünglings veranlassten Namakan, seinen Meister sachte am Umhang in eine Lücke zwischen zwei Zelten zu ziehen. »Arvid ist nicht mehr hier?«
    »Und wenn schon«, sagte Dalarr ruhig. »Dann holen wir uns eben zuerst Waldur.«
    »Liebend gern«, stimmte ihm Morritbi zu. »Mich schert die Reihenfolge nicht, in der ihre Köpfe rollen.«
    »Sagte der Henker und schärfte seine Axt«, fügte Eisarn hinzu.
    Kjell sah zu den Türmen der Stadt hinauf. »Wenn Waldur stirbt, fällt sein Fluch von mir ab …«
    »Das mag ja alles richtig sein.« Namakan zuckte mit den Achseln. »Aber das Tor ist zu.«
    »Waldurs Hals bekommt trotzdem bald Blotuwakars Klinge zu spüren.« Dalarr verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Ein Fuchsbau hat nicht nur einen Eingang.«
    In einem Marsch, der den halben Tag dauerte, führte sie Dalarr auf die andere Seite der Stadt, immer entlang des Grabens an der Stadtmauer. Der Wald aus Wagen und Zelten lichtete sich mehr und mehr, je weiter sie sich vom Tor entfernten.
    Sie erreichten irgendwann eine Stelle, an der der Graben unterbrochen war. Der Grund dafür war ein stinkender, zäher Fluss, der mehr aus Unrat als aus Wasser bestand. Sein gerader Lauf zum Silvret hin legte den Verdacht nahe, dass er in einem künstlich angelegten Graben dahinkroch. Er entsprang einer Öffnung am Fuß der Stadtmauer, die ungefähr die Größe einer durchschnittlichen Tür in den Almen hatte und die Form eines halbierten Apfels besaß. Ein engmaschiges Gitter aus Eisenstreben, an dessen unterem Rand sich allerlei Widerwärtiges verfangen hatte, diente als Abwehr gegen Eindringlinge.
    Das Gitter hätte man sich sparen können. Wer würde dort hineinwollen, der noch bei klarem Verstand ist? Der bestialische Gestank der Brühe trieb Namakan die Tränen in die Augen, und er musste würgen, als er die vereinzelten Flüchtlinge sah, die ihr Hunger zu schier Unvorstellbarem trieb: Sie wateten durch die Brühe und fischten in der Suppe aus Exkrementen und Abfällen nach Essbarem. Gerade hatte einer – ein schrecklich hagerer Kerl in einer zerschlissenen Kutte – etwas gefunden, das wie ein Kohlblatt aussah. Der Mann schüttelte das Blatt ein wenig aus und steckte es sich in den Mund.
    »Was sollen wir hier, Meister?«, keuchte Namakan.
    »Das ist unser Eingang«, gab Dalarr nüchtern zurück.
    »Nur über meine Leiche!«, protestierte Ammorna, die Hände in die Ärmel ihrer Kutte zurückgezogen, wo sie sie seit ihrer Kahnfahrt beständig wärmte. »Das ist mein voller Ernst!«
    »Mach keine Angebote, die du dann nicht erfüllen willst, Nebelkrähe.« Dalarr lachte.
    »Wir sollen da rein?«, fragte Tschumilal in einem ungläubigen Tonfall. »Ist es das, was du meinst?«
    »Ja, das meine ich«, bestätigte Dalarr.
    »Was ist mit dir?«, blaffte Morritbi, die sich schon seit geraumer Zeit die Nase zuhielt, Eisarn an. »Warum beschwerst ausgerechnet du dich nicht?«
    »Weil ich schon Schlimmeres erlebt habe«, erwiderte der Zwerg unverwandt. »An ein bisschen Scheiße zwischen den Fingern ist kaum einer gestorben.«
    »Da ist

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