Heldenwinter
du, wir könnten gegen sie alle bestehen?«, fragte Dalarr Morritbi. »Mehr als fünfzig Männer und Frauen, die kein Handwerk mehr lieben als das Töten? Wäre ich allein, würde ich es vielleicht wagen. Aber nicht mit euch im Gefolge.« Er zeigte auf ihren Ledergürtel, der wegen der Röcke ihres neuen Kleids viel höher unter ihren Brüsten saß als früher. »Hast du so viel Skaldat, um sie alle zu verbrennen?«
Morritbi ballte die Fäuste, aber sie senkte den Kopf.
Dalarr war noch nicht fertig. »Kann Eisarn mit seinem Hammer ihnen allen den Schädel einhauen? Hat Tschumilal genügend Pfeile in ihrem Köcher, um jeden von ihnen damit zu spicken? Ist Kjells Schwert noch scharf genug, um ihnen die Glieder abzutrennen? Und was ist mit Namakan, hm? Ich dachte, du liebst ihn. Willst du sehen, wie sie ihn in tausend Fetzen zerreißen und ihn an die Fische dort im Hafen verfüttern?«
»Nein«, sagte Morritbi leise.
»Dann halt dich raus, wenn ich ihm gegenüberstehe.«
»Was ist, wenn er dich bezwingt?« Tschumilal stellte die Frage in einem Tonfall, als wollte sie wissen, was Dalarr vom Wetter hielt.
»Dann schaut ihr zu, dass ihr von hier wegkommt«, meinte er grimmig. »Wenn ich ihn nicht besiegen kann, kann es niemand auf der ganzen Welt.«
30
»Ein Zwist unter Brüdern entfesselt bisweilen eine läuternde Reinheit«, sprach der Weise.
»Die Frage nach der Reinheit ihres Handelns entfesselt stets Zwiste unter Brüdern«, entgegnete der Weisere.
Aus einem Fragment des Stummen Barden
Als der Krieger in Weiß aus der Bastion der Skra Gul schritt, tobten widerstreitende Gefühle in Namakans Brust: Sorge um seinen Meister, Hass auf diesen lächelnden Mann dort, der gemächlich über den staubigen Platz schlenderte, und auch ein grässlicher Hauch Bewunderung für dessen Erscheinung.
Seine Rüstung war ein Meisterstück aus Skaldat, so strahlendweiß, dass es einem in den Augen brannte. Das Weiß eines funkelnden Gletschers, das Weiß einer erbarmungslosen Wüstensonne.
Unter dem Arm trug Waldur, dessen Wuchs schlank und aufrecht war, einen mit gewundenen Widderhörnern verzierten Helm. Zwei Scheiden schwangen an seinem Waffengürtel. Die eine barg ein langes, dünnes Schwert – die Klinge, die Lodajas Leichnam verschandelt hat! –, die andere einen kurzen Parierdolch, dessen fragiler Korb um den Griff einer Schneeflocke nachempfunden war.
Glattes Haar, das dem ruchlosen Schlächter seidig bis auf die Schultern fiel, umrahmte sein trügerisch edles Gesicht. Waldur war der lebende, der unsterbliche Beweis, dass beileibe nicht alles Grausame hässlich war. Schön, aber kalt … eine Schnitzerei aus Eis. Von dem Geschmeide, in das Waldur angeblich die von ihm gebändigten Geister zwang, sah Namakan nichts. Keine Kette, kein Stirnreif, kein Ohrring.
Die vor dem Tor zur Bastion stationierten Skra Gul zeigten sich verwundert über das Auftauchen ihres Anführers. Manche traten unruhig auf der Stelle, andere schüttelten die Köpfe und zuckten mit den Schultern. Erst als Waldur ein Drittel der Entfernung zwischen sich und den Wanderern hinter sich gebracht hatte, fielen drei der Wachen in einen Laufschritt, um zu ihm aufzuschließen. Er hob die Hand in einer warnenden Geste, den Blick unverwandt auf Dalarr gerichtet. Die Wachen hielten an, nervöses Misstrauen auf den Zügen.
Zehn Schritte vor Dalarr blieb auch Waldur stehen und verneigte sich tief. »Dalarr att Situr, möge dein Weg lang sein«, hieß er seinen Gast willkommen, die Stimme laut und klar.
»Und der deine noch länger, Waldur att Situr«, erwiderte Dalarr, verzichtete allerdings auf eine Verbeugung.
»Was verschafft mir die Ehre?«, fragte Waldur sorglos. »Bist du hier, um die Gräben zu überbrücken, die gerade erst zwischen uns aufgerissen wurden?« Er hielt kurz inne, um einen Blick zurück zu seinen Männern zu werfen. »Du verzeihst, dass ich nicht die Zunge unserer Mütter und Väter verwende. Mein Gefolge ist besorgt, und deinem wird es nicht anders gehen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Ich habe auf deine Ankunft gewartet. Ein Geist hat mir zugeflüstert, dass du kommst.«
Der Geist … der Lichtgeist aus dem zerbrochenen Amulett … Namakan ächzte unterdrückt. Ich wusste von Anfang an, dass es ein Fehler war, Waldur zu warnen.
»Du hast mich verraten.« Dalarr, der inzwischen so weit nach vorn getreten war, dass er Waldur auf etwas mehr als Armeslänge gegenüberstand, mahlte kurz mit den Kiefern. »Du hast mir vorgegaukelt,
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