Heldenwinter
zum Einsatz kommt. Ballisten, die baumlange, brennende Geschosse verschießen. Katapulte, die Fässer mit kochendem Pech auf die Angreifer schleudern. Um Kluvitfrost zu nehmen, braucht es die wahnsinnige Entschlossenheit eines tollwütigen Hundes – aber die Reden der Seher der Pferdestämme könnten aus dem sanftesten Lämmchen eine reißende Bestie machen.
Als wir nun vor dreißig Sommern Kluvitfrost erreichten, die Ketten der Ewigkeit in Lodajas Gepäck, war das Tor im Westen bereits gefallen. Die Krieger der Pferdestämme drängten in Scharen in den Pass, als donnernde Wellen, die an den Palisaden brachen. Zumindest noch, denn über die vordersten Gräben hatten sie schon hinweggesetzt, und brandeten mit voller Wucht gegen die dahinterliegenden Wälle.
Unsere Gruppe teilte sich. Während Waldur, Lodaja und ich einen der Wehrgänge entlanghetzten, hin zu dem Turm, wo Arvid und seine Generäle das Schlachtfeld überblickten, schlossen sich die anderen den Verteidigern am Grund des Passes an.
Galt erreichte als Erster die vordersten Stellungen. Er zog sein Schwert und stimmte ein Lied an, voll und kräftig, das das Klingenklirren, das Donnern der Hufe und die Schreie der Sterbenden noch übertönte. Es handelte vom Mut, sich einer Übermacht zu stellen, und davon, was für ein unermesslicher Ruhm darin lag. Eines der Lieder, das man nun einmal singen muss, wenn man Soldaten in den sicheren Tod treiben will …
O Tschumilal, eines der schändlichsten Verbrechen, die sich Waldur anzulasten hat, ist, dass dir die Stimme deines Vaters vorenthalten wurde. Allein dafür hätte er es verdient, langsam und qualvoll zu verrecken.
Als die von Galt angestachelten Soldaten aus ihrer Stellung auf die Barbarenkrieger zustürmten – ausgerechnet mein guter Eisarn hier auf seinen kurzen Beinen allen voran –, traute ich meinen Augen nicht. Wie viele es auf einmal waren, die da brüllend auf die Herde des Fetten Hengstes vorrückten. Wie ihre Banner stolz flatterten. Wie ihre Rüstungen glänzten. Mir fiel wieder ein, wer da noch in dieser Stellung stand, und ich verstand, was ich vor mir sah. Nimarisawis Wirken. Die Elfe hatte einen Zauber gesprochen, mächtiger als die meisten, die je über ihre Lippen kommen sollten.
Da wusste ich, dass in Wahrheit die Banner in Fetzen hingen und die Rüstungen blutig und zerschlagen waren. Dass wohl gut die Hälfte der tapferen Recken, die da den Lanzen und den Pfeilen der Reiter trotzten, nur vor meinen Augen existierten. Meine Klinge und meine Hände wären durch sie hindurchgefahren wie durch Luft.
Als wir nach schier endlos vielen Stufen auf dem Turm anlangten, trat uns Arvid entgegen. Furcht und Hoffnung rangen auf seinem Gesicht miteinander. Das, was Lodaja bei sich trug, entschied den Kampf.
»Wir brauchen einen Toten«, rief Waldur.
Niemand rührte sich. Alle waren sie gebannt von der schwarzen Kette, und ich glaube, sie alle hörten ihren Ruf.
Waldur hörte ihn offenbar am lautesten. Da keiner seiner Forderung nachkam, zog er sein Schwert und streckte einen der Generäle nieder. Zielstrebig und doch leichtfertig, wie ein Knabe Disteln köpft, wenn er sich aus ihren Blüten eine Krone flechten will.
»Schafft dieses Katapult hier rüber«, lautete sein nächster Befehl, und dieses Mal stolperten die Generäle übereinander, um seinem Wunsch zu entsprechen. Wie niederste Rekruten, die sich dankbar zeigen, wenn man ihnen die einfachsten Aufgaben stellt, zerrten sie die große Wurfmaschine von der Brüstung des Turms herbei.
Waldur ließ sich ein Seil bringen und knüpfte den erschlagenen General an einem Querbalken des Katapultgerüsts auf. Da baumelte er nun, als hätte dieser hohe Herr das Los eines Strauchdiebs erlitten.
Waldur nahm Lodaja die Ketten ab, und er erstarrte. Nur für einen winzigen Augenblick. Ich weiß, welcher Verlockung er sich ausgesetzt sah. Womöglich war es der letzte Rest des Mannes, den ich meinen Bruder und meinen Freund nannte, der sich nun in ihm aufbäumte. Der ihm verbot, der Lust nachzugeben, die die Berührung der Ketten in ihm aufgeilte. Vielleicht war es am Ende aber auch nur die kühle Erkenntnis, dass es sich für ihn nicht lohnte, einen König als Spielzeug und Marionette zu missbrauchen, wenn durch das Reich, über das dieser König herrschte, nur noch mordgierige Monstren streiften. So oder so schüttelte Waldur seine Lähmung ab. Er ging zum baumelnden Leichnam des Generals und trieb die Haken an den Enden der Kette in das Fleisch
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