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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Trotzdem tastete er bereits nach seiner Hose, fand aber zuerst sein Hemd. Er schälte sich aus der Decke, die noch deutlich nach dem roch, was er und die Hexe getrieben hatten.
    »Wir müssen da raus.« Dalarr deutete mit dem Kinn in Richtung des dunklen Ungewissen, das vor Morritbis Haus auf sie wartete. »Wir können diese Leute, die da schreien, nicht einfach sterben lassen. Und ehe ich vor einem Schwarm fliegender Pelze den Schwanz einziehe, darfst du mir gern meine eigenen Schwerter durch die Brust stechen. Komm!«
    Schon war der große Mensch über die Schwelle getreten, und seine eiligen Schritte knirschten auf dem überfrorenen Schnee.
    Namakan stieg eilig in seine Hosen und schloss seinen Gürtel. Einmal mehr kam ihm der daran baumelnde Jagddolch viel zu klein, viel zu ohnmächtig für die bevorstehende Aufgabe vor.
    Namakan wollte seinem Meister sofort folgen, doch an der Tür drehte er sich noch einmal zur Feuerstelle um. Morritbis große Augen funkelten ihn an. »Willst du wirklich gehen und dein Leben für ein paar Fremde aufs Spiel setzen? Das Feuer meint, wir würden nur ein anderes Ungeziefer retten, wenn wir die Klauenschatten töten.«
    Obwohl ihm Morritbi erst in dieser Nacht ein großes Geschenk gemacht hatte, fühlte Namakan bei ihren Worten eine ernüchternde Enttäuschung. »Du und dein dämliches Feuer! Du solltest ihm nicht alles glauben. Dein Feuer hätte Dalarr und mir nämlich bestimmt geraten, dich bei der Spinne noch bis in alle Ewigkeit Pilze fressen zu lassen. Da warst du doch auch nur eine Fremde für uns.«
    Er schüttelte grimmig den Kopf und rannte davon, hinaus in die eiskalten Arme der Nacht.
    Sich draußen zurechtzufinden, fiel Namakan bei Weitem nicht so schwer, wie er befürchtet hatte. Der allgegenwärtige Schnee sog das Mondlicht in sich auf und wurde so zu einem hellen Untergrund, auf dem sich die dunklen Stämme der Tannen deutlich abhoben. Wo der Himmel zwischen dem düsteren Gespinst der Baumwipfel zu erkennen war, glitzerten die Sterne nicht länger vor dem reinsten Schwarz der tiefsten Nacht, sondern vor dem Blau eines sich zaghaft nähernden Morgens.
    Namakan hätte den Blick gern an den huschenden Schatten seines Meisters geheftet, der durch den Hain voranstürmte, dem Pfeifen, Schreien und Wiehern entgegen. Er schaffte es nicht, weil sein Kopf wie der einer Marionette von unsichtbaren Fäden gezogen immer wieder nach oben schweifte. Fliegende Riesenmarder, die sich von hoch droben aus den Bäumen auf ihre Beute stürzen … Wenn ich jemals wieder nach Hause auf die Almen komme, habe ich viele unglaubliche Geschichten zu erzählen. Fragt sich nur, wem ich sie erzählen will. Die, die mir wahrscheinlich gern gelauscht und mir bei jedem meiner Worte an den Lippen gehangen hätten, sind alle tot. Um ein Haar wäre er über eine Wurzel gestolpert.
    Er hetzte weiter, zitternd vor Anspannung und Kälte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er seine Stiefel vergessen hatte. Er warf einen schnellen Blick über die Schulter. Umkehren kommt nicht infrage. Ich muss die Stiefel später holen.
    Er glaubte, weit hinter sich einen Schemen auszumachen, der mit langen Schritten langsam zu ihm aufschloss. Ist sie das? Ich dachte, das Feuer hätte gesagt, sie soll bleiben, wo sie ist.
    Namakan richtete den Blick wieder nach vorn, um seinen Meister nicht aus den Augen zu verlieren.
    Einen kräftigen Steinwurf entfernt, wo die Bäume weniger dicht beieinander standen, blitzte ein helles Licht auf. Es währte nur einen Wimpernschlag – bläulich und grell –, dann flackerte und erlosch es. Namakan hielt in seinem Lauf inne und blinzelte gegen die hartnäckigen Nachbilder von Stämmen und Ästen an, die sich wie ein Netz aus dicken, schwarzen Strängen über seine Sicht gelegt hatten. Als er sich halbwegs sicher war, welche der vor ihm liegenden Hindernisse tatsächlich existierten und welche nur das verwirrende Überbleibsel des plötzlichen Lichts waren, eilte er wieder voran.
    Er kam nur wenige Schritte weit, da erstrahlte das Licht erneut. Zwar verlor es auch diesmal rasch wieder sein blendendes Leuchten, doch es wurde beileibe nicht von der umliegenden Dunkelheit verschlungen. Es war beinahe, als ginge inmitten des Schwarzen Hains eine weiße Sonne auf – auch wenn es nur die müde Sonne eines langen Winters war.
    Namakan rannte auf das dumpfe Gleißen zu, während aus dem schrillen Pfeifen der Klauenschatten ein geradezu beleidigtes Fauchen und Keckern wurde. Er begriff nun,

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