Heldin wider Willen
Begriffen. Sie bemühte sich, den Teil von sich zu ignorieren, der Selbstmitleid empfand, der über all die Stunden des Studierens, des Fleißes, des Selbstopfers jammern wollte …
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»Dumm!«, sagte sie laut und erschreckte sich selbst und
Master Chief Sivars, der eingetreten war, um etwas für Major Pitak abzuholen. »Entschuldigung«, sagte Esmay. »Ich dachte gerade an etwas anderes.«
»Ist schon in Ordnung, Lieutenant«, sagte er im nachsichtigen Tonfall eines sehr erfahrenen Unteroffiziers gegenüber einem sehr unerfahrenen Subalternoffizier, den er aus irregeleiteter Zuneigung tolerierte. Zumindest hatte Esmay diesen Eindruck, und er erfüllte sie mit noch mehr Widerwillen.
»Chief, woran erkennen Sie, wer vom Nachwuchs ein Talent für technische Dinge zeigen wird?«
Er bedachte sie mit einem Blick, der klar zum Ausdruck
brachte, dass das weder sie noch ihn etwas anging, aber dann lehnte er sich doch ans Schott und antwortete ihr. »Manche legen gleich mit einer solchen Begabung los, dass man
überhaupt keinen Zweifel hat. Ich erinnere mich an einen Pivot Officer vor sechs oder sieben Jahren, der gerade aus dem Einführungslehrgang kam und die Skala der Verwendungsprüfung am oberen Ende gesprengt hatte. Na ja, wir hatten früher schon Spitzennoten gesehen … Aber dieses Kid konnte nichts anfassen, ohne dass das Ding gleich besser funktionierte.
Innerhalb von zwei Tagen wussten wir, wen wir da hatten; innerhalb einer Dekade hielten wir nur noch die Luft an und hofften, dass er sich mit keiner wichtigen Persönlichkeit anlegte, weil er wirklich eine Art hatte, seine Meinung zu sagen.« Er lächelte, als er daran zurückdachte. »Das war noch, ehe wir auf die Kos kamen, verstehen Sie das richtig; sie war noch im Bau, und wir gingen von Station Sierra aus in unsere Einsätze. Major Pitak war noch Lieutenant, wie Sie jetzt, außer dass sie schon ganz sie selbst war, falls Sie verstehen, was ich meine. Naja, 330
dieses Kid gab ihr eines Tages eine patzige Antwort, und sie bekam die Farbe schlecht gewordenen Polyklebstoffs. Dann blinzelte sie und sah mich an, sagte, das Kid hätte Recht, und ging hinaus. Daraus konnte ich über beide etwas lernen, obwohl ich das Kid natürlich zurechtstauchen musste, weil er frech zu einem Offizier gewesen war. Aber eigentlich war es keine Frechheit; er wusste einfach, was er wusste, und machte sich nicht die Mühe, es zu verheimlichen.«
»Und die Leute, die nicht ganz so gut sind?«
»Naja … Natürlich kann ich die erkennen, die hart arbeiten.
Das hilft immer. Jeder mit ausreichend Grips, um die
Verwendungsprüfung zu bestehen, kann durch Beharrlichkeit genug lernen, um sich als nützlich zu erweisen – so, wie Sie es tun. Aber nichts ersetzt das Talent, das Gefühl… Ich kann es nicht erklären, Lieutenant. Entweder haben die Leute ein Gefühl für das Material, oder sie haben es nicht. Manche verfügen auf ganz eng begrenztem Gebiet darüber … sie sind vielleicht, sagen wir mal, technische Genies mit Scannern, aber für alles andere nutzlos. Andere haben einfach ein Talent für viele technische Aufgaben – sie können fast jedes System bedienen.«
»Irren Sie sich je?«, fragte Esmay.
Er kaute auf der Unterlippe. »Manchmal… Aber normalerweise hat es dann nichts mit der technischen Begabung des Betreffenden zu tun. Mir sind dann andere Dinge entgangen, die sich auf sein Leistungsvermögen auswirken. Ich erinnere mich an einen Sergeant Minor, der aus Sektor 11 zu uns versetzt wurde und überragende Ergebnisse hatte. Das war an sich schon komisch –warum sollte ein anderer Sektor ihn gehen lassen, falls er doch so gut war? Aber wir waren knapp an Personal, wie es anscheinend immer ist, und er war ziemlich gut.«
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»Und was hat nicht mit ihm gestimmt?«
»Pure Gemeinheit. Wie sich herausstellte, hat es ihn be—
friedigt, wenn er Schwierigkeiten machen konnte: in seiner Mannschaft, in der Unterkunft, überall. Hat Leute gegeneinander aufgehetzt, hat die Wahrheit gebeugt, aber immer so, dass er noch behaupten konnte, er hätte nicht wirklich gelogen.
Nichts, was er tat, verstieß gegen die Vorschriften – darauf hat er sorgfältig geachtet –, aber schon nach der Hälfte seiner Dienstzeit bei uns hätten wir alles getan, um ihn wieder loszuwerden. Ich jedenfalls. Ich war gerade zum Master Chief befördert worden; ich wollte, dass meine Abteilung reibungslos funktionierte, und da war er und störte alles. Endlich wurden wir ihn los, aber es war
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