Helle Barden
von ihm gehört«, sagte Karotte.
»Nun… äh… in den Geschichtsbüchern wird er kaum erwähnt«, er-
klärte Mumm. »Manchmal gibt es einen Bürgerkrieg, und nachher be-
schließt man, so zu tun, als wäre überhaupt nichts geschehen. Manchmal
müssen gewisse Leute eine gewisse Pflicht erfüllen, um anschließend
vergessen zu werden. Altes Steingesicht schwang die Axt. Niemand sonst
war dazu bereit. Immerhin war es ein königlicher Hals. Könige sind et-
was Besonderes .« Der Hauptmann verlieh diesem Wort einen verächtlichen Klang. »Dieser Meinung waren die Leute selbst dann noch, nachdem sie
die privaten Gemächer gesehen und dort… aufgeräumt hatten. In der
Welt aber wol te niemand Ordnung schaffen. Bis auf Steingesicht. Er
nahm die Axt, verfluchte al e und erledigte das, was erledigt werden
mußte.«
»Wie hieß der König?« fragte Karotte.
»Lorenzo der Nette«, antwortete Mumm leise.
»Im Palastmuseum habe ich Bilder von ihm gesehen. Ein dicker alter
Mann. Umgeben von vielen Kindern.«
»O ja«, sagte Mumm langsam. »Kinder mochte er sehr.«
Karotte winkte einigen Zwergen zu.
»Von dieser Sache höre ich jetzt zum erstenmal. Bisher dachte ich, es
sei zu einer heimtückischen Rebellion gekommen.«
Der Hauptmann zuckte mit den Schultern. »Man muß die Geschichts-
bücher schon sehr aufmerksam lesen, wenn man die Wahrheit erfahren
will.«
»Und das war das Ende der Könige von Ankh-Morpork?«
»Ich glaube, ein Sohn überlebte. Und einige verrückte Verwandte. Man
verbannte sie. Für Majestäten sol das schrecklich sein. Warum eigent-
lich? frage ich mich.«
»Nun, dir gefäl t die Stadt, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Mumm. »Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen Ver-
bannung und einem abgehackten Kopf, so würde ich nicht zögern, die
Koffer zu packen. Es ist gut, daß es keine Könige mehr gibt. Anderer-
seits… die Stadt funktionierte.«
»Das ist nach wie vor der Fal «, sagte Karotte.
Sie kamen an der Assassinengilde vorbei, und kurz darauf erreichten
sie die hohen, düsteren Mauern der Narrengilde an der anderen Ecke des
Blocks.
»Nein, sie existiert nur. Ich meine, sieh dir nur das da oben an.«
Karotte hob gehorsam den Blick.
Wo sich der Breite Weg und die Alchimistenstraße trafen, stand ein
vertrautes Gebäude. Die Fassade hatte viele Verzierungen, doch die mei-
sten verbargen sich unter einer dicken Patina aus Schmutz. Oben niste-
ten Steinfiguren.
Die vom Zahn der Zeit angenagte Inschrift über dem Portikus lautete:
WEDER REGEN NOCH SCHNEE ODER SONST ETWAS KANN
ABHALTIGEN DIESE BOTEN VON IHRE PFLICHT.
Früher mochte das tatsächlich der Fall gewesen sein, doch vor kurzer
Zeit hatte jemand ein Schild mit folgenden Worten hinzugefügt:
ABGESEHEN FON:
Felsen
Trollen mit Stökken
Al en Arten fon Drachen
Frau Kuchen
Grossigen grünen Dingen mit Zähnen
Schwarzen Hunden mit orangschfarbenen Brauen
Spanielregen
Nebel.
Frau Kuchen
»Oh«, sagte Karotte. »Die königliche Post.«
»Das Postamt«, korrigierte Mumm. »Von meinem Großvater weiß ich:
Einst konnte man hier einen Brief aufgeben und sicher sein, daß er in-
nerhalb eines Monats zugestel t wurde. Man brauchte ihn keinem Zwerg
zu geben, in der Hoffnung, daß der kleine Mistkerl ihn nicht verspeist…«
Mumm unterbrach sich.
»Äh. Entschuldige. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Oh, keine Sorge«, erwiderte Karotte fröhlich.
»Eigentlich habe ich nichts gegen Zwerge. Man muß lange suchen, be-
vor man geschicktere, gesetzestreuere, fleißigere…«
»… kleine Mistkerle findet?«
»Ja. Nein!«
Sie setzten den Weg im Patrouillenschritt fort.
»Jene Frau Kuchen…«, sagte Karotte nach einer Weile. »Scheint sehr
willensstark zu sein, wie?«
»Und ob«, erwiderte Mumm.
Etwas knirschte unter Karottes großer Sandale.
»Noch mehr Glas«, stel te er fest. »Selbst hier, ein ganzes Stück von der Assassinengilde entfernt.«
»Explodierende Drachen! Das Mädchen hat viel eicht Phantasie…«
»Wuff-wuff«, erklang eine Stimme hinter ihnen.
»Der blöde Hund ist uns gefolgt«, sagte Mumm.
»Er bellt die Mauer an«, meinte Karotte.
Gaspode bedachte sie mit einem kühlen Blick.
»Wuff-wuff, meine Güte, jaul-jaul«, sagte er. »Seid ihr blind oder was?«
Normale Leute hörten keine Worte von Gaspode, weil gewöhnliche
Hunde nicht sprechen. Das ist eine al gemein bekannte Tatsache. Dieses Wissen ist ein integraler Bestandteil der intellektuell-organischen
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