Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Konzentration. Jetzt geht’s um diese Schrift hier. Ich könnte eine Folie vom Balkon bis zum Boden runterhängen lassen und behaupten, dass ich sie sauber gemacht hätte, um mit ihr den Heuwagen abzudecken. Abgesehen davon, dass uns das die Aussicht von drinnen nach draußen verdunkelt, braucht bloß ein hauchdünnes Lüfterl zu gehen, und die Schrift wäre zu sehen. Also doch wegkratzen. Sind ganz schön viele Buchstaben, ich kann fast froh sein, dass der Schreiber einen vergessen hat, sonst hätte ich noch mehr zu tun. Vielleicht ist es leichter, wenn ich die ganze Wand rot anmale und es der Sophie gegenüber als eine verspätete Überraschung zum Valentinstag verkaufe? Ich hole meine Farbtuben und einen Pinsel aus der Werkstatt, stelle jedoch fest, dass ich mit meinem Rot höchstens noch das Ö ausmalen kann, zu mehr reicht es nicht. Das wird alles nichts auf die Schnelle. Außer … Mir fällt was ein, und ich lege los.
«Warum schmierst du an die Hauswand, Papa?» Emma hüpft mit ihrem Schulranzen auf dem Rücken die Straße rauf, wie ich gerade einen dicken Punkt unter das Fragenzeichen setze und den Pinsel dann im Drogenmafiakübel auswasche.
«Mich schimpfst du immer, wenn ich wo hinmale, aber du darfst, ungerecht!», mault sie.
«Ich hab nur vorne was dazugeschrieben und hinten alles in Frage gestellt, mit der Schreiberei angefangen hat wer anders.»
«Und wer?»
«Das muss ich herausfinden.»
«Wer ist der Heeennndlmmmööööööödddddeeeeer?», liest Emma vor. «Papa, können Füchse lesen?»
Meine Tochter glaubt, es geht um die Mörder unserer Hühner. Perfekt!
«Vielleicht liest es ihnen jemand vor, wenn sie’s selbst nicht können, so wie du jetzt.» Ich nehme sie in den Arm und drücke sie, schließlich habe ich sie seit fast vierundzwanzig Stunden nicht gesehen. Ihr Gesicht und ihre Hände sind mit Windpocken übersät, aber mir scheint, die Wimmerl werden flacher und trocknen langsam ein. «Juckt es noch?»
Wie zur Aufforderung kratzt sie sich am Hals. «Nur manchmal, aber heute Nacht war’s schlimm, bis mir die Mama die Salbe draufgetan hat. Wo warst du eigentlich in der Früh? Die Mama hat gesagt, du hilfst dem Jäger Wolfi was. Seid ihr jetzt wieder Freunde?»
Sophies Notlüge also, dass ich dem Rängoarsch geholfen habe. Ich streiche meiner Tochter übers Haar, auch auf der Kopfhaut hat sie ein paar Pocken. Gerade habe ich den Jäger Wolfi als Hauptverdächtigen entlarvt, da führt kein Weg retour zu einer Freundschaftseventualität. Aber wie erkläre ich der Emma das?
«Hat dir die Lisa die Hausaufgaben mitgebracht?»
Sie nickt. «Wir haben sie gleich zusammen gemacht, zwei Arbeitsblätter, schreiben, was ausmalen und einkleben. Aber jetzt lenk nicht ab, Papa, ich hab zuerst gefragt.» Selbst meine Jüngste durchschaut mich.
«So leicht ist das mit dem Vertragen nicht, der Wolfi ist stur und ich wahrscheinlich auch.»
«Stur wie ein Stier?» Sie hält sich die Zeigefinger wie zwei Hörner an den Kopf. «Die gegeneinander kämpfen.» War das eine Frage oder eine Vorhersage? Emma rührt in der Farbe.
«Lass uns reingehen.» Ich nehme ihr den Pinsel aus der Hand, bevor ihr einfällt, auch noch was dazuzuschreiben. «Hilfst du mir, das Abendessen herzurichten, bis die Mama kommt? Wir müssen heute auf dem anderen Herd kochen, weil der Elektriker unsere Stromleitungen richtet.»
Zusammen gehen wir ins Haus und lassen die Frage mit dem Hendlmöder erst mal hinter uns.
Nachdem ich in der Küche im alten Wamsler ein Feuer gemacht, alle Kerzen zusammengesucht und überall aufgestellt habe, nehme ich zum allerletzten Mal die Reste der Fugger zur Hand und vermenge die zerschlagenen Bruteier mit Milch, Mehl und ein paar salzigen Tränen von mir zu einem Teig. Emma deckt den Tisch.
«Ui, gibt’s hier eine Weihnachtsnachfeier?» Emil kommt heim.
Rettet den Waller! steht heute auf seinem T-Shirt.
Dieser scheue, bis zu zwei Meter große Riesenfisch lebt in den Tiefen des Starnberger Sees und ist vom Aussterben bedroht wie ein Meereswal.
«Der Strom ist für ein paar Stunden abgestellt», erkläre ich auch dem Emil. «So lange wie der Xand zum Reparieren braucht.»
«Von mir aus. Kann die Amrei mitessen?» Die Tochter von der Klunkerchristl stellt sich neben ihn, sie trägt dasselbe T-Shirt zu einem Rock, ist ebenso barfuß wie mein Sohn, nur zieren ihre schmalen Fesseln ein paar Fußkettchen. Jetzt kapiere ich’s: Hinter der ganzen Geheimniskrämerei steckt ein Mädchen! Und
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