Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Ich halte ihn am Arm zurück.
«Veranstaltung? Wirst du etwa in aller Öffentlichkeit rausgeschmissen?»
Seufzend hechtet er vor, zieht aus dem geschnitzten Rhinozeros-Stiftehalter, den mir die Emma zum Vatertag gemacht hat, unter den ganzen abgebrochenen Blei- und eingetrockneten Filzstiften treffsicher einen Kugelschreiber heraus, der zu funktionieren scheint, und nimmt mir den Zettel aus der Hand. Wenn
ich
einen Stift brauche, finde ich nie einen.
«Das war doch nur ein Elternbrief zur Schulhofgestaltung.» In null Komma nichts setzt er die fehlenden Buchstaben ein:
Se hr geehrte E ltern ,
dem Auf ruf , de n Innenhof des Schulg el ä nd es selbst neu zu gestalten, sind viele Schüler ge folgt . Der Schüler- und Lehrera ussc h uss hat sich einstimmig für den Entw urf von Emi l Halbr itter, Kl asse 9 C , entschieden . Dank Stein spenden der Firma Hammer le, die den Boden eines Freiluftklassenz immer s bilden, ist die Um ge st alt ung ohne Schw i erigk eiten gelungen. Für die Um setzung standen uns dank Ihrer Sp enden 1650 EUR zur Verf üg ung. Wir laden Sie nach Unterrichts s chl uss am 8 . Juni, um 13 . 15 Uhr zur offi zie llen Eröf fnung ein und f reuen uns auf Ihr zahlreich es Kommen.
gez. Th. Schweizer, Schull eiter
So einfach, wirklich. Wieso hab ich das nicht gesehen? Das Telefon klingelt.
«Ich geh schon.» Emil rennt nach oben. Ich höre ihn mit jemandem reden, er kommt wieder die Treppe runter. «Die Sophie?», frag ich.
Er schüttelt den Kopf und reicht mir den Apparat. «Der hat seinen Namen nicht gesagt, erst geglaubt, ich bin du, und dann nur äh gesagt.»
Ich geh dran. «Halbritter, halb Bauer, hier.» Mein Sohn seufzt bei meinem Dauerwitz, rennt zu Amrei hoch, die oben am Treppenabsatz wartet, und zischt mit ihr ab.
«Äh, Muck, also ich bin’s, der Ding, der Rossbach, Rudolf.»
«Grüß dich, nett, dass du anrufst», sag ich und setz mich wieder in die Küche. Mir wird heiß, ich hab ja überhaupt noch gar keinen Gedanken an das Dabeiseier-Jobangebot verschwendet oder jedenfalls keinen brauchbaren. Ich wollte es erst mit der Sophie besprechen, sie weiß, wie das mit dem Neinsagen geht, oder hat hoffentlich eine Ausrede für mich parat. Was soll ich ihm nun sagen? Ich hole tief Luft und blättere die Zettel auf der Ablage durch. Butter, Mehl, Zucker steht auf einem, Tampons auf einem anderen. «Wie geht’s dir?», überbrücke ich meine fieberhafte Suche nach einer passenden Antwort auf die Frage, die er bestimmt gleich stellen wird. «War es nett mit den alten Kollegen gestern in der Hutschachtel?»
«Passt schon alles.» Der Rossi ist kein wandelndes Wörterbuch.
«Hat sich viel verändert mit der S-Bahn-Vernetzung, seit du in Pension bist?»
«Schon, die Linien sind noch die alten, aber diese jungen Hüpfer in den Büros kennen mich nicht mehr.»
Ach, darum hat er sich mit seinem Laptop aufs Klo verzogen, als ich ihn gefunden habe. Wissen täte ich schon gerne, was er dort im Internet drin gesucht hat.
«Muck, wir brauchen deine Hilfe.» Beim Klang dieser Worte schmilzt mein Herz wie Wassereis in der Sommerglut. Ich hab sofort ein schlechtes Gewissen, dass ich die
Gemeinsam Dabeiseier
für verdächtig halte. So nette, ehrliche Leute. Wer von den Pöckingern braucht mich sonst noch in dieser hendlmördernarrischen Zeit?
«Kannst du uns deinen Anhänger morgen früh hinstellen und beim Umzug helfen?»
«Was? Ihr müsst wirklich sofort raus aus dem Alten Rathaus?» Das mit der Kündigung hab ich, ehrlich gesagt, nicht hundertprozentig ernst genommen. Seit Jahren hat es schon geheißen, dass das Gebäude anders genutzt werden soll, einträglicher als mit alten Leuten. Dabei sind die Senioren doch unsere Zukunft, ohne die wissen die Jungen nicht, wie sie später mal ausschauen werden. Wie geht dieser Spruch: Was du nicht magst, dass man dir tu, das trau auch keinem anderen zu. Oder so ähnlich. Alt werden wir alle oder sind es schon teilweise, ausgenommen die ewig Neununddreißigjährigen natürlich, mit Pomade auf den ergrauten Schläfen oder ein Aufpolsterungsspritzerl da und dort. Unter uns, Silikon zeigt am Wannenrand die bessere Wirkung. Als Schreinerlandwirt weiß ich, wovon ich sprech.
«Ja, wir wurden wirklich raussaniert», erklärt der Rossi. «Die Wasserleitungen sind angeblich durchgerostet und die Wände feucht, dabei war das vom ersten Tag an so, nur damals hieß es, eisenhaltiges Wasser sei gesund. Da sparst du dir einen Nagel im Apfel oder die Vitamintabletten.
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