Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
sie ist die Tochter meiner alten Klassenkameradin.
«Na klar, setzt euch her.» Emma stellt einen Teller mehr dazu. Die Wände erzittern unter dem Xand seiner Bohrerei. Hoffentlich steht hinterher das Haus noch. Zu einem Pfannkuchen kann ich den Elektriker nicht überreden, er isst später zu Hause, mit Bluthund und Saukerl, oder wie seine Sonderlingsfische heißen. Draußen dämmert es bereits, wir zünden die Kerzen an. Bei uns ist eben öfters als einmal im Jahr Weihnachten. Die Sophie verspätet sich, ich hab vergessen zu fragen, ob sie von wem gebracht wird oder mit der S-Bahn rauskommt. Vielleicht ruft sie noch mal an, und ich kann sie mit dem Tiger vom Bahnhof abholen. Wenn richtig Dampf im Wamsler ist, geht’s schnell mit dem Braten. Als ich einen Berg Pfannkuchen rausgebrutzelt habe, fangen wir zu essen an. Der Amrei schmeckt’s, sie sagt es sogar. Ich werde verlegen. Erst als ich den Emil grinsen sehe, begreife ich, dass das die beiden vermutlich vorher ausgemacht haben. Lob ihn, dann freut er sich und hält die Klappe. Ich hätte sowieso nichts zu schimpfen gewusst, so viel wie mir mein Sohn hilft.
«Woher habt ihr eigentlich den Schorschi?», frage ich die Amrei, ein Gespräch über den Dorfraben scheint mir unverfänglich. Vor eineinhalb Jahren ist sie erst mit ihrer Mutter hergezogen, um den Laden zu eröffnen. Laut Gerüchten ist die Amrei in irgendeinem Ashram in Indien geboren, Vater unbekannt. Vermutlich war das der Klunkerchristl ihr Protest gegen ihre evangelische Erziehung als Pfarrerstochter.
«Der Schorschi ist anscheinend beim ersten Flugversuch aus dem Nest gefallen. Der Jäger Wolfi hat ihn meiner Mama als Willkommensgeschenk mitgebracht.»
Schon wieder der! Gibt’s niemanden anderes mehr? Ständig kriege ich dem seinen Namen ins Trommelfell gedonnert. Diesmal mit einer guten Tat, die ihm kaum zuzutrauen ist. Ich umklammere die Plastikfigur in meiner Hosentasche und versuche, mir nichts von meiner aufkeimenden Wut anmerken zu lassen. «Und wer hat dem Schorschi das Sprechen beigebracht?»
«Ach, keiner, der plappert einfach alles nach, was er den ganzen Tag hört, von den Leuten, die vorm Laden vorbeigehen, oder abends dann das Gelalle, vom Biergarten der Wirtschaft drüben.
Weibergeschwätz, Servus, Schnaps her oder ich schieße
.» Zu unserer Gaudi ahmt Amrei Schorschi perfekt, genauso krächzend, nach.
«Mehr, mehr!» Emma juchzt und kann nicht genug davon kriegen.
Amrei lacht. «Wenn wir zu Hause sind, darf er in der Wohnung herumspazieren. Wir putzen seine Voliere und er sagt,
Saustall, ja so ein Saustall
.»
«Wer hat das eigentlich draußen an die Hauswand geschrieben?» Abrupt wechselt Emil das Thema, rollt einen weiteren Pfannkuchen mit Marmelade ein, taucht ihn in die Vanillesoße, streut sich reichlich Zimtzucker drüber und beißt hinein.
Wie soll ich diese ganze verzwickte Geschichte nur vor der Amrei erklären? Der Xand hat vom Bohrer zum Hammer gegriffen und verschafft mir mit seinem Geklopfe etwas Zeit. Hoffentlich nimmt er seinen Beruf ernst und kennt sich mit den Stromleitungen besser aus als mein Vater.
Einmal hat mir mein Vater das Leben gerettet, und einmal hätte er mich fast umgebracht. Als Bub habe ich mir meine Limo mit etwas Bier auffüllen, quasi ein Radler machen wollen, die Flasche von meinem Vater genommen und samt Schaum in mein Glas geleert. Bevor er es merkt und mich womöglich schimpft, hätte ich längst alles ausgetrunken. Also hab ich das Glas an die Lippen gesetzt.
«Halt», hat er gerufen. «Schau erst, ob nicht eine Wespe drin ist.» In dem Moment hab ich was am Mund gespürt, in der Radlerlake schwamm tatsächlich eine stachlige Gelbgestreifte. Wer weiß, ob ich heute noch hier säße, wenn ich das Viech verschluckt hätte. Jahre später, kurz bevor mein Vater abhaute, habe ich angefangen die Handwerkerarbeiten im Haus zu übernehmen, zur Freude der Mama. Mein Vater schwang lieber Reden als einen Schraubenzieher. Nachdem ich dem Martin einen Stromkreis gebastelt hab, fühlte ich mich auch für den Hauptstrom erfahren genug. Als Zwölfjähriger hab ich mich darauf verlassen, dass mein Vater, Lebensschenker und Lebensretter, die Sicherung herausgedreht hat. Er saß im Wohnzimmer beim Fernsehen, und ich tüftelte in der Küche an der Beleuchtung unter den neuen Hängeschränken. Eigentlich hat jeder Raum seine eigene Sicherung, nur die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer besitzt einen gemeinsamen Stromkreis, das hat mein Vater selbst so
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