Henry haut ab: Roman (German Edition)
sie an Zeit mit ihm verbracht hatte, seit er angekommen war, war sie überzeugt, dass er sich für sie interessierte und – was viel wichtiger war – einen guten Liebhaber abgeben würde. Zweifellos war er viel interessanter als der Mann von der Werkstatt, der ein bisschen einfallslos war, wenn es nicht gerade um Automotoren ging. Und nach allem, was Wilt gesagt hatte, schien Eva sich über Gebühr ihren Töchtern zu widmen.
Clarissa konnte sich nicht vorstellen, dass die Wilts eine sexuell erfüllende Ehe führten. Ebenso wenig wie sie sich vorstellen konnte, dass sie finanziell besonders gut gestellt waren. Sie hatte gesehen, wie Mrs. Wilts Augen aufgeleuchtet hatten, als sie gesagt hatte, dass sie fünfzehnhundert Pfund die Woche zahlen würde, plus einen Bonus, wenn Edward in Porterhouse zugelassen wurde. Onkel Harolds Tod hatte sich finanziell gesehen sogar ziemlich positiv ausgewirkt: Sie hatte bei ihren wöchentlichen Aufenthalten im Black Bear Hotel weit mehr ausgegeben, als sie Wilt pro Woche zahlte. Nicht dass sie sich ernsthaft Gedanken ums Geld machte. Schließlich hatte sie Gadsley wegen seines Reichtums geheiratet, und der Tod ihres ersten Mannes hatte sie ihrerseits ziemlich wohlhabend gemacht. Entschieden guter Stimmung stieg sie aus der Wanne und zog sich an.
Dasselbe konnte man von Eva nicht behaupten. Sie war entschieden schlechter Laune. Zusätzlich zu den Krisen, die sie bereits auf dem Weg zu und von der Schule durchgemacht hatte, hatte sie eine weitere Nacht im Hotel verbringen müssen. Obwohl die Vier versprochen hatten, sich bestens zu benehmen, und sie absolut sichergestellt hatte, dass die Minibar verschlossen und verriegelt war, war sie in den frühen Morgenstunden von einem durchdringenden Schrei geweckt worden. Sie brauchte eine Weile, um zu begreifen, wo er herkam, und sogar noch länger, um die arme Frau, die aufgewacht war und gesehen hatte, wie vier Mädchen auf dem Boden ihres Zimmers umherkrochen, davon abzubringen, die Polizei zu rufen. Die Mädchen behaupteten, sie seien nach unten gegangen, um nachzusehen, ob sie da ein paar Bücher zum Lesen ausleihen konnten, und dann hätten sie sich im Zimmer geirrt, doch das erklärte nicht, warum Josephine anscheinend das Make-up der Dame trug, und Penelope eine ihrer Halsketten.
Eva hatte den Rest der Nacht mit dem Versuch zugebracht, in einem Sessel in ihrem Zimmer zu schlafen, und hatte am nächsten Morgen nicht nur ihr eigenes Zimmer, sondern auch das der Dame bezahlen müssen. Eine halbe Stunde später, als sie in den Rückspiegel schaute und sah, dass die Mädchen sämtliche Handtücher und zwei von den Kissen gestohlen hatten, war sie beinahe versucht, einfach weiterzufahren, weil sie so wenigstens ihr Geld wieder heraushatten, besann sich dann aber doch eines Besseren und wendete den Wagen.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Schwierigkeit, die absichtlich gewundene Zufahrt zu Sandystones Hall zu bewältigen. Natürlich hatte sie Wilts Anweisungen, den Hintereingang zu nehmen, völlig vergessen und stattdessen die Straße zum Haupttor genommen. Sie bog ein Dutzend Mal falsch ab und musste so oft umdrehen, dass sogar die Vierlinge verstummten.
Als sie endlich über die Zugbrücke fuhr, wies sie die Mädchen an, im Wagen sitzen zu bleiben, während sie ausstieg, um an der Türglocke zu ziehen. Sie hatte erwartet, dass Lady Clarissa sie begrüßte, doch stattdessen kam ein Junge mit einem Gewehr an die Tür und fragte, was sie wollte. Und zwar in einem Ton, der vermuten ließ, dass er dachte, sie wolle etwas verkaufen.
»Ich bin Mrs. Wilt, und wir sind hier eingeladen.«
»Hat mir keiner was von gesagt«, brummte Edward. »Ich geh mal Mrs. Bale holen. Die weiß bestimmt Bescheid.« Er verschwand wieder im Haus. Einigermaßen beklommen starrte Eva das Wasser unter der Zugbrücke an. Kurz darauf hörte sie Schritte näher kommen. Als sie aufsah, war sie froh, eine anscheinend vernünftige – wenn auch ziemlich dicke – Frau vor sich stehen zu sehen. Mrs. Bale stellte sich vor und entschuldigte sich dafür, dass sie nicht gleich selbst an die Tür gekommen war.
»Ich hoffe nur, Edward war nicht unhöflich zu Ihnen«, sagte sie mit einem Blick zu den Mädchen im Wagen.
»Ach, das war Edward? Ich hatte ihn mir ein bisschen jünger vorgestellt. Nun, er war wirklich nicht gerade besonders höflich«, sagte Eva. »Anscheinend dachte er, ich will etwas verkaufen.«
»So ist er eben. Denkt, dass jeder, der
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