Henry haut ab: Roman (German Edition)
Unfreundlichkeit zu ertragen –,von dieser unerträglichen Person jedoch würde sie sich nicht länger ausfragen lassen, das war ja beinahe ein Verhör. Und Evas nächste Frage fiel definitiv in diese Kategorie.
»Ist mein Mann mit Lady Clarissa ins Bett gegangen? Ich will eine ehrliche Antwort.«
Mrs. Bale beschloss, ihr diese Unverschämtheit heimzuzahlen.
»Natürlich. Ich meine, schließlich lagen ihre Zimmer nebeneinander, und ihr Mann ist sehr attraktiv. Sie können doch wohl kaum annehmen, dass Sir George in seinem Alter eine Frau, die so schön ist wie Ihre Ladyschaft, befriedigen kann – sexuell, meine ich. Also, was haben sie denn anderes erwartet? Dass sie ihrem Mann wirklich ein fürstliches Gehalt zahlt, um ihren idiotischen Sohn zu unterrichten? Ich meine, das ist doch ziemlich unwahrscheinlich, oder?«
Es war eine sprachlose, fuchsteufelswilde Eva, die daraufhin nach oben stürmte und die Tür des ersten Zimmers aufriss, an dem sie vorbeikam. Und natürlich saß Lady Clarissa darin und starrte sich in einem riesigen Spiegel an. Sie trug ein Höschen und nicht viel mehr. Als sie Eva im Spiegel erblickte, drehte sie sich um und starrte sie an.
»Was wollen Sie denn hier?«, fauchte sie.
»Sie haben mit meinem Mann geschlafen, Sie Hure!«, platzte Eva heraus und glotzte unglücklicherweise dabei auf Lady Clarissas Brüste.
»Wie können Sie es wagen, hier hereinzuplatzen und solche ungeheuerlichen Anschuldigungen vorzubringen! Und was in Gottes Namen starren Sie so? Haben Sie noch nie Brüste gesehen? Sie sind doch nicht bisexuell, oder?«
»Ganz sicher nicht! Sie sind wirklich widerlich.« Eva zögerte einen Moment. »Ich will wissen, wo Henry ist. Offensichtlich ist er ja gerade erst aus ihrem Bett gestiegen, also müssen Sie wissen, wo er ist.«
Lady Clarissa machte sich nicht die Mühe, sie zu korrigieren. »Ich habe keine Ahnung, wo Ihr erbärmlicher Mann ist, und wenn Sie sich dazu aufraffen würden, ein bisschen auf ihr Äußeres zu achten, so wie ich es tue, dann könnten sie ihn vielleicht auch besser halten. Und jetzt raus, sonst komme ich noch zu spät zur Beerdigung.«
Eva ging langsam wieder nach unten. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt: Henry war ein Ehebrecher. Sie suchte nach Mrs. Bale, doch die Sekretärin/Haushälterin hatte sich verdrückt. Sie hatte genug von Mrs. Wilt.
Eva ging hinaus, um die Mädchen einzusammeln und sie in die Pension zurückzubringen, aber trotz ihres Versprechens war nichts von ihnen zu sehen. Sie versuchte, den Taxifahrer auszufragen, doch der sagte, sie müssten sich davongemacht haben, als er ihnen den Rücken zugekehrt und mit den Sargträgern geredet hatte, und im Übrigen sei er kein verdammtes Kindermädchen und sie sollte eben besser aufpassen.
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und Eva sank wehklagend zu Boden.
Den Mädchen war es langweilig geworden, über den Rasen auf die Eibenhecke zu starren und sich zu fragen, was dahinter wohl vor sich ging. Sie hatten noch nie eine richtige Beerdigung gesehen, nur ab und zu kurze Filmausschnitte im Fernsehen, bei denen Särge vor Kirchen an Seilen in rechteckige Gruben hinabgelassen oder wieder exhumiert wurden, um eine Autopsie durchzuführen, wenn Mordverdacht bestand. Hier war nun die Gelegenheit, sich das einmal in echt anzusehen. Also machten sie sich vorsichtig zum Familienfriedhof auf, während Eva nach Wilt suchte, wobei sie Edwards Neigung nicht vergaßen, auf alles zu schießen, was sich bewegte.
Sie flitzten in den Küchengarten und kletterten über die Mauer auf das Feld dahinter. Von dort schlichen sie am Cottage und einer Hecke vorbei auf das Kiefernwäldchen hinter dem See zu und dann um das Bootshaus herum. Kurz gesagt, sie blieben immer in Deckung und sprachen, wenn überhaupt, nur im Flüsterton miteinander. Schließlich erreichten sie die Rückseite der kleinen, nicht geweihten Kapelle, die selbst von der Eibenhecke verborgen war, die den Friedhof umgab. Dennoch trafen sie Vorsichtsmaßnahmen und sahen sich den Sarg nacheinander an, während die anderen auf dem Boden lagen und den Eingang im Auge behielten. Ihn einfach nur anzusehen wurde jedoch rasch langweilig. Sie fingen an zu überlegen, ob der Sargdeckel wohl zugenagelt war. Zur ihrer großen Freude war er es nicht. Als sie – nachdem sie sich gegenseitig ausgiebig als Feiglinge bezeichnet hatten – den Deckel öffneten, lag ein Leichnam darin.
»Meine Fresse! Ich fasse es
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