Hera Lind
bei mir wieder angekrochen?« Ich warf mein Weinglas nach ihm. Es flog knapp an seiner Schläfe vorbei und zerbarst an der Wand. Der Rotwein rann wie Blut die Tapete hinunter. Was irgendwie passend war, denn das Jagdbild hing direkt daneben.
»Das versuche ich dir gerade zu erklären!«, sagte Christian mühsam beherrscht. »Ich will ehrlich sein. Ich habe mich tatsächlich in sie verliebt.« Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar: »Das kommt in den besten Familien vor, Anita. Besonders wenn man seit achtzehn Jahren verheiratet ist und seit sieben davon nicht mehr im Ehebett erwünscht ist.«
»Ach, jetzt fängst du DAMIT an!«, schrie ich wutentbrannt. »Dass der Herr nicht auch noch die Ehe vollziehen kann, wenn er von seinen Liebschaften mal nach Hause kommt! Du ARMER!« Ich war drauf und dran, zum Schürhaken zu greifen. »Wie sehr willst du mich eigentlich noch demütigen?«
»Ich will dich nicht mehr demütigen. Und mich auch nicht. Es ist noch nicht zu spät für einen Neuanfang. Ich stehe hier und bitte dich darum.«
»Natürlich. Weil du arbeitslos und wohnungslos bist und es draußen minus zwölf Grad sind.«
»Nein. Weil ich denke, dass es für uns alle das Beste ist.«
»Bis der nächste gehörnte Ehemann hier anruft?« Ich schnaubte. »Nein, ganz bestimmt nicht, Christian. Du hast deine Chance gehabt.«
»Anita! Bitte denk in Ruhe darüber nach. Die ganze Scheidung ist ein Wahnsinn! Weißt du, dass dein Star-Anwalt bereits zwei Millionen Euro von mir gefordert hat?«
»Nein. Zwei Millionen … Wie kommt der denn darauf?«
»Er hat ausgerechnet, dass dir bei meinem angeblichen Einkommen und deiner Lebenserwartung samt den Ausbildungskosten der Kinder eine Abfindung von rund zwei Millionen zusteht.« Christian schnaubte spöttisch. »Das ist doch völlig utopisch! Du kannst eine Kuh nicht gleichzeitig schlachten und melken! Der Einzige, der an unserer Scheidung verdient, ist der Anwalt!«
»Das hättest du dir früher überlegen müssen«, erwiderte ich barsch.
»Und was ist überhaupt mit den Kobaliks? Wieso lässt du zu, dass die sich so in dein Leben einmischen?« Er machte eine verächtliche Kopfbewegung in Richtung der geschmacklosen Jagdbilder und schweren Eichenmöbel. »Merkst du nicht, wie die langsam, aber sicher die Kontrolle übernehmen?«
»Sie helfen mir in einer schweren Situation«, sagte ich trotzig. Was blieb mir zu diesem Zeitpunkt auch anderes übrig?
»Sie verarschen dich und spielen mit deinen Gefühlen.«
»Du spielst mit meinen Gefühlen!«
»Anita. Lass mich einfach wieder hier einziehen und diese Scheußlichkeiten hier rauswerfen. Dieses grässliche Elchgeweih und den stinkenden Bären …« Christian trat gegen das aufgerissene Bärenmaul. »Lass uns unsere Energie in unsere Ehe stecken und nicht in deren Zerstörung.« Er sah mich bittend an.
Ich merkte, dass es ihm ernst war. Er wollte nicht streiten. Wir hatten eigentlich nie gestritten. Ich kämpfte mit mir. Mein Stolz verbot mir, in seine ausgebreiteten Arme zu sinken, so gern ich das im Moment auch getan hätte. Verschieben wir es doch auf morgen!, hätte ich am liebsten ausgerufen. Ich bin müde und will ins Bett! Mit letzter Kraft wiederholte ich: »Das hättest du dir früher überlegen können.«
»Anita, ich bitte dich. Sei doch vernünftig! Verzichten wir ausnahmsweise mal auf Schuldzuweisungen. Wir haben beide Fehler gemacht. Ich entschuldige mich für meine.«
Ich umklammerte das Weinglas in meiner Hand: »Wirst du sie wiedersehen?«
»Wen?«
»Die rothaarige Schlampe aus dem Kaff da.«
»Nein. Wir haben uns heute voneinander verabschiedet. There’s no place for us. «
Wie theatralisch! Er zitierte aus der »West Side Story«? Da ging es um die ganz große Liebe. Nicht nur um eine schmierige Kleinstadtaffäre mit Knutscherei im Parkhaus. Ich holte tief Luft. »Du liebst sie aber?!«
Christian zuckte die Achseln, vergrub die Hände in den Hosentaschen und lief auf Socken auf und ab. Schließlich fuhr er entschlossen zu mir herum. »Im Moment kann ich das nicht leugnen.«
»Du gibst es also zu?« Das tat so weh! Ich wünschte, er hätte mich damit verschont.
»Na ja, was heißt schon Liebe? Ich habe mich verknallt wie ein Schuljunge. Aber ich bin erwachsen und weiß, wo ich hingehöre.«
»Na toll.« Ich nahm einen großen Schluck Wein. »Eine Vernunftehe also.«
»Sie führt auch eine«, murmelte er und lächelte traurig. »Das ist weit verbreitet.«
Ich ballte die Fäuste und
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