Hera Lind
raus hier! So!« Sie stand neben mir und strich mir doch tatsächlich über meine widerspenstige Mähne!
Im selben Moment schoben eifrige kleine Hände eine Rolle Klopapier durch den Türspalt. Meine entzückenden aufmerksamen Kinder! Da musste ich schon wieder heulen und konnte nicht mehr damit aufhören. Und das ausgerechnet vor meiner Mutter!
»Jürgen sagt, du lässt dich schon seit Tagen so vor den Kindern gehen? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du hast Mutterpflichten!«
Na ja, aus Spaß heulte ich bestimmt nicht. Ich litt an einem gebrochenen Herzen. Zum ersten Mal war mir die Bedeutung dieses Wortes so richtig bewusst. Ich riss meterweise Klopapier ab und schnäuzte hinein.
»Ist es etwa wegen des Flötisten? Jürgen hat mir erzählt, dass er sogar hier war?«
Ich nickte und durchweichte das Klopapier.
»Das sind ja höchst hysterische Anfälle!«, sagte sie tadelnd. »Wenn du früher so geflennt hast, habe ich dir kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Das hat immer gewirkt.«
Gute Idee!, dachte ich. Am besten, sie taucht mich gleich in einen Brunnen mit Eiswasser. Damit meine Haare aufhören zu brennen.
»Du hast dich da in etwas ganz Törichtes reingesteigert. Das kann man sich vielleicht mit fünfzehn leisten, aber nicht mit fünfunddreißig. Und erst recht nicht als Mutter dreier Kinder.«
»Ich weiß«, schluchzte ich zerknirscht. »Es tut mir auch furchtbar leid!«
»Du KANNST doch nicht deine Familie zerstören«, sagte meine Mutter mit schneidender Stimme. »Jürgen sagt, du warst drauf und dran, mit diesem Wiener Schönling abzuhauen. Er konnte den Mann gerade noch davon abhalten. Wie STELLST du dir das denn vor!?«
»Ich weiß es nicht«, schluchzte ich weiter. »Jürgen hat ihn herbestellt und gesagt: ›Sie können meine Frau abholen‹.«
»So hat er das bestimmt nicht gesagt. Du übertreibst wieder maßlos!« Sie tätschelte mir kurz und kräftig die Schulter. Mehr Solidarität war nicht drin. Sie war noch nie verschwenderisch damit umgegangen, und auch jetzt konnte ich nicht mehr erwarten als einen halb gefüllten Fingerhut.
»Doch, das hat er genau so gesagt! Und Christian hat es ernst genommen!«
»Der Mann hat dich gar nicht zu interessieren. Dass DEIN Mann auch langsam durchdreht, kann man ihm nicht verübeln! Die ganze Stadt spricht schon von der Parkhaus-Affäre! Du solltest dich was schämen!«
So. Nun hatte sie mich dort, wo sie mich haben wollte: Ich schämte mich, ich weinte, ich war am Boden.
»Und jetzt hole ich einen Eimer mit kaltem Wasser. Oder wenigstens einen nassen Lappen! Und damit schlagen wir dir dann diesen Filou aus dem Kopf! Du wirst schon sehen, das hilft!«
Ja, so eine kalte Abreibung würde mir bestimmt guttun. Ich musste meiner Mutter dankbar sein für ihre drakonischen Maßnahmen. Ich durfte mich auf keinen Fall mehr so gehen lassen. Plötzlich stand Vater Dietrich neben mir. Dass er sich überhaupt in mein Arbeitszimmer bequemt hatte! Er wappnete sich gegen die Unzumutbarkeiten der Welt, indem er ihr einfach den Ton abdrehte. Wollte er mir den Trick auch verraten?
»Hm, Tochter?« Seine magere weiße Hand berührte die meine. »Hat es dich so schlimm erwischt?«
»Ich schaffe das schon«, heulte ich. »Brauch halt ’n bisschen Zeit!«
»Lache, Bajazzo!«, sagte mein Vater und kehrte dann mitsamt seiner Zeitung wieder zu seinem Fernsehsessel zurück. Für seine Verhältnisse war das ein sagenhaft konstruktives Gespräch. Meine Mutter kam tatsächlich mit einem nassen Lappen zurück, den ich mir dankbar aufs Gesicht drückte.
»Jürgen baut einen Mist nach dem anderen«, murmelte ich zu meiner Verteidigung. »Ich kann ihn einfach nicht mehr lieben.« Dabei fing ich schon wieder an zu heulen.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Lotta! Ich habe deinen Vater auch nicht immer nur geliebt. Und ich hatte auch Chancen bei anderen Männern.«
Verwundert hob ich den Kopf und schaute sie aus brennenden Augen an.
»Tja! Da staunst du! Ich war auch mal schön!«
Sie schob mir eine frische Packung Tempotücher hin: »Aber ich war Mutter und Ehefrau und habe mich verdammt noch mal zusammengerissen. Und das wirst du auch tun! Jeder hat mal ne Ehekrise, da reißt man sich zusammen und hängt das nicht an die große Glocke! Oder meinst du, ich hätte nicht auch mal die Faxen dicke gehabt mit deinem Vater?«
Dass die Tür zum Wohnzimmer offen stand, schien sie nicht weiter zu stören.
»Jeder hat seine Eigenheiten. Dein Jürgen kämpft halt auf seine Weise um
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