Hera Lind
würden beide auf dem Titel pran gen, ich und die Rothaarige daneben. Hoffentlich fanden sie ein ungünstiges Foto von ihr. Eines mit verkniffenem Mund und bösem Blick. So machen sie das doch immer in den bunten Blättern. Daneben ich: zerbrechlich, zart und unschuldig.
Ralf Steiner zitierte genüsslich die Schlagzeile: »Diese Frau hat mein Leben zerstört! Bankiersgattin nimmt uns Ehemann und Vater weg! Wir wissen nicht mehr, wohin!«
»Na ja, ihr habt ja noch uns«, sagte Ursula. »Aber det braucht ja da draußen keiner zu wissen. Klar, dass wir euch finanziell nicht hängen lassen!«
Warum klang das in meinen Ohren nur so wie eine Drohung? Gleichzeitig bemerkte ich plötzlich so etwas Lüsternes in Wolfgang Kobaliks Blick. Er starrte Grazia eindeutig auf den Busen.
LOTTA
Mir war total schlecht. Seit Stunden saß ich in Sophies schwarzem Mercedes und starrte wie hypnotisiert in die graue Winterlandschaft. Gerade hatte ich München hinter mir gelassen und fuhr auf der Autobahn A 8 nach Salzburg. Wahrscheinlich in mein Unglück. Sophie hatte mir vor der Abfahrt noch den Navi programmiert, damit ich das abgelegene Haus am Wolfgangsee auch fand. Es schneite, und die Scheibenwischer quietschten jämmerlich. Was machte ich bloß hier? Ich fuhr doch nicht tatsächlich zu …
»Lotta, trau dich! Bestimmt wartet er auf dich«, hatte Sophie mich noch beschworen.
»Ich weiß nicht …«
»Probier es doch wenigstens aus! Es wird bestimmt gut gehen mit euch beiden!«
»Aber er will es vielleicht gar nicht … Wir sollten nichts erzwingen!«
»Ihr erzwingt ja gar nichts!« Sie hatte gelacht.
»Lass uns lieber noch mal darüber reden.«
»Geredet haben wir lange genug. Du bist doch sonst eine Frau der Tat!«
»Ich kann doch nicht einfach … Sophie, ich trau mich nicht!«
»Vielleicht geht ihr euch schon nach kurzer Zeit auf die Nerven. Dann kannst du Christian endgültig aus deinen Gedanken verbannen!«
»Und wenn nicht?«, hatte ich zitternd und zagend gefragt. Komischerweise war ich mir SICHER, dass wir perfekt zusammenpassten. Und jetzt saß ich in dieser schnurrenden Limousine und rauschte Christian entgegen, der noch nichts davon ahnte. In dem Haus gab es kein Telefon. Möglicherweise war Christian längst nicht mehr dort, sondern wieder bei seiner Frau in Wien. In der Villa mit den Bremer Stadtmusikanten. Ich sah mich schon einsam und verfroren an der Haustür rütteln! Oh Gott, ob das wirklich eine gute Idee war? Eigentlich war es gar keine Idee. Es war ein REFLEX. Und dem hatte ich letztendlich doch gehorcht. Meine Kinder waren mitsamt Caspar bei Sophie. Meine Freundin hatte mir hoch und heilig versprochen, auf sie aufzupassen, bis ich zurück sein und eine Entscheidung getroffen haben würde.
Aber was für eine Entscheidung bitte schön? Wie stellte sie sich das denn vor? Dass ich mit Christian im Schlepptau zurückkam und einfach die Kinder einpackte? Du, sorry, Jürgen, aber a bisserl war das Ganze auch deine Schuld? Nun sei ein fairer Verlierer und gib den Kindern ein paar Computerspiele mit auf den Weg? Wir leben jetzt in einem Ferienhaus am Wolfgangsee? Auch wenn es dort keinen Strom und kein fließend heißes Wasser gibt – wir haben immerhin UNS. Die Kinder werden in St. Wolfgang bestimmt neue Freunde finden. Ein Kindergarten wird die Zwillinge mit offenen Armen aufnehmen, während Paulchen gleich in die Schule für musisch Hochbegabte kommt. Vielleicht in … Dings. Wie hieß die nächste österreichische Kreisstadt gleich wieder, in der man lesen und schreiben kann? Genau. Bad Ischl. Eine … ähm … ehemalige kaiserliche Residenzstadt, in der schon Sissi ihren Nachwuchs aufgezogen hat.
Man muss nur den Mut haben, neu anzufangen!, redete ich mir immer wieder ein, während mein altes, ängstliches Ich immerfort klein beigeben und zu Jürgen zurückkehren wollte. Bestimmt träumte ich das nur. In Wirklichkeit saß ich zu Hause in Heilewelt und wartete darauf, dass dieser schöne Traum ein Ende nahm. In Wirklichkeit hatte ich gar nicht den Mut, mich einfach in Sophies Auto zu setzen und achthundert Kilometer ins Ungewisse zu fahren! In Wirklichkeit rief ich jetzt alle Heilewelter Eltern einzeln an und flehte sie an, mir doch noch eine Chance zu geben.
Die Dame des Navigationssystems unterbrach meine Gedanken: Wenn möglich, bitte wenden! Oh Gott, ich sollte wenden! Sie sagte das auch! Gute Idee. Ich konnte immer noch wenden. Nach Heilewelt, in den Borkenkäferweg zurückkehren. Die
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