Herbst - Ausklang (German Edition)
konnten. Jeder suchte nach Gründen, den nächsten Schritt vorwärts hinauszuzögern.
Harry hievte sich eine lange Rolle Kletterseil auf die Schulter und schaute zur Burg, die vor ihnen lag.
»Viel Deckung gibt es hier draußen zwar nicht«, meinte er, »aber es dürfte wohl kaum jemand damit rechnen, dass wir durch diese Massen wandern.«
»Ich glaube, die rechnen mit gar nichts«, sagte Michael und klang dabei zuversichtlicher, als er sich fühlte. »Ich denke, sie sind auf Richards kleinen Bluff reingefallen. Die werden glauben, dass wir immer noch im Helikopter sitzen.«
»Wird das wirklich funktionieren?«, murmelte Harte, der wesentlich zweifelnder als die beiden anderen wirkte. Im Hafen hatte noch alles sinnvoll geklungen, aber je näher sie der Burg kamen, desto unsicherer fühlte er sich.
»Sollte es, wenn wir vorsichtig sind«, antwortete Michael. »Wie ich schon sagte, Jas wird damit nicht rechnen. Und wenn du recht hast und mehr Leute weg als bleiben wollen, dann ist er zudem in der Unterzahl.«
»Da hast du wohl recht«, meinte Harte, der jedoch immer noch nicht überzeugt klang.
»Kommt schon, Ladys«, sagte Harry, der genug davon hatte, es hinauszuzögern. »Bringen wir es hinter uns, ja? Die dem Torhaus gegenüberliegende Seite, richtig?«
»Das ist unsere beste Chance«, bestätigte Harte. »Soweit ich mich erinnern kann, sind dort keine Wohnwagen oder Sonstiges. Dort befindet sich nur die Jauchegrube, sonst nichts. Der verfluchte Gestank hält die meisten von dort fern.«
»Dann ist die Stelle ideal.«
Harry trat einen ersten zögerlichen Schritt auf die Horde der Toten zu. Sein Schuh durchbrach eine dünne Eisschicht und sank anschließend in eine mehrere Zentimeter tiefe Schicht aus Schlamm und Verwesungsbrei. Das Gelände, soweit er es erkennen konnte, war unerwartet unebenmäßig. Der Mulch, durch den sie stapfen mussten, war voll von Gebeinen und anderen, weniger offensichtlichen Hindernissen.
Sie bewegten sich im Gänsemarsch voran. Harry versuchte, eine relativ gerade Linie durch den endlosen Schlamm vorzugeben, aber das gestaltete sich angesichts dessen, durch was sie wateten, praktisch unmöglich. Michael bildete das Schlusslicht. Der grauenhafte Schlick drehte ihm den Magen um. Mittlerweile war er knöcheltief, und rings um sie befanden sich erkennbarere Überreste – eine halb vergrabene Leiche, die immer noch zu kriechen versuchte, eine andere, die mit festsitzendem Fuß aufrecht stand und sich nicht befreien konnte, wieder eine andere lag auf dem Rücken und fuchtelte vereinzelt wie ein Ertrinkender mit den spindeldürren Armen. Ihre Schuhe ließen Knochen wie Zweige brechen, und wann immer Michael nach unten blickte, sah er dort, wo sich sein Fuß gerade befunden hatte, wuselnde Bewegung. Der zähflüssige Matsch strotzte vor Würmern, Maden und sonstigem Getier, das in dieser Fülle verwesenden Fleisches blühte und gedieh. Michael war dankbar, dass es in den letzten Tagen kaum geregnet hatte. Es hätte nur ein paar schwerer Schauer bedurft, um diesen Ort in einen unpassierbaren Sumpf zu verwandeln.
Sie kamen nur langsam voran, der Untergrund wurde zunehmend tückischer. Die Verwesungsschicht verbarg Hindernisse – Mauern, Zäune, Bäche. Alles blieb unsichtbar, bis sie sich praktisch unmittelbar darauf befanden. Mittlerweile sahen sie ein Stück voraus eine dunkle, strukturlose Erhebung, die wie ein glänzender Haufen Fäulnis aussah, und eine Zeit lang kamen die Männer nicht dahinter, um was es sich handelte oder warum es sich dort befand.
»Das ist ein Auto«, sagte Harte schließlich. »Scheiße, seht euch das an.«
Er ging einen unsteten Schritt weiter und packte mit einer behandschuhten Hand behutsam die Schulter eines Kadavers und versuchte, diesen wegzuziehen. Allerdings war die Leiche dermaßen verwest, dass sich nicht der gesamte Körper bewegte – die Beine blieben wie verwurzelt. Harte zog kräftiger, und die Kreatur knickte am Ansatz der Wirbelsäule nach hinten. Der Kopf des Geschöpfs hing nach unten und berührte beinah die Fersen. Als Harte in das verheerte Gesicht starrte, vermeinte er zu sehen, dass sich der Mund bewegte.
Harte entfernte eine weitere Leiche, um mehr freizulegen. Er hatte recht, es handelte sich eindeutig um ein Auto. Nachdem er mehrere andere Kadaver weggeschoben hatte, kam fast die gesamte Breite der Windschutzscheibe zum Vorschein. Marke, Modell und sogar die Farbe des Fahrzeugs ließen sich unmöglich erkennen, dafür hatte
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