Herbstfeuer
geschieht?“, fragte sie.
Daisy saß auf der Bettkante und sah sie an. Sie trug einen blauen Morgenrock, und ihr Haar war unordentlich im Nacken zusammengesteckt. Besorgt betrachtete sie Lillians müdes Gesicht. „Vor etwa zwei Stunden hörte ich Unruhe aus dem Zimmer von Mama und Papa. Wie es scheint, hat Lord Westcliff Vater um eine private Unterredung gebeten – im Privatsalon der Marsdens, glaube ich – und dann kam Vater zurück, und ich schaute hinein und fragte, was los sei. Vater wollte es nicht sagen, aber er schien sehr aufgeregt, und Mutter bekam wegen irgendetwas Zustände und lachte und weinte, sodass Vater etwas zu trinken holen ließ, um sie zu beruhigen. Ich weiß nicht, was zwischen Lord Westcliff und Vater besprochen wurde, aber ich hoffte, dass du …“ Daisy unterbrach sich, als sie bemerkte, dass Lillians Tasse auf der Untertasse klapperte. Hastig nahm sie den Tee aus Lillians Händen. „Liebes, was ist denn? Du siehst so seltsam aus. Ist gestern etwas passiert? Hast du etwas getan, das Lord Westcliff vor den Kopf stieß?“
Lillian kämpfte gegen einen Lachanfall. Noch nie zuvor hatte sie sich so gefühlt, hin und her gerissen zwischen Wut und Tränen. Die Wut gewann die Oberhand. „Ja“, sagte sie. „Es ist etwas passiert. Und jetzt benutzt er es, um mir seinen Willen aufzuzwingen, ob ich es will oder nicht. Hinter meinem Rücken alles mit Vater zu arrangieren – oh, das halte ich nicht aus. Dieser …!“
Daisy machte große Augen. „Bist du ohne Erlaubnis mit einem von Lord Westcliffs Pferden ausgeritten? Ist es das?“
„Ob ich – Himmel, nein, wenn es nur das wäre.“ Lillian barg ihr hochrotes Gesicht in den Händen. „Ich habe das Bett mit ihm geteilt.“
Auf ihr unmissverständliches Bekenntnis folgte erschrockenes Schweigen. „Du – aber – aber ich verstehe nicht, wie du …“
„Ich habe in der Bibliothek Brandy getrunken“, sagte Lillian. „Und er hat mich gefunden. Eins führte zum anderen, und schließlich war ich in seinem Schlafzimmer.“
Daisy nahm diese Neuigkeit in stummer Verblüffung auf. Sie versuchte zu sprechen, nahm einen Schluck von Lillians Tee und räusperte sich. „Ich vermute, dass du das nicht getan hast, um ein Nickerchen zu halten?“
Lillian warf ihr einen strafenden Blick zu. „Daisy, sei kein Dummkopf.“
„Glaubst du, er wird sich wie ein Ehrenmann verhalten und um deine Hand anhalten?“
„O ja“, erwiderte Lillian voller Bitterkeit. „Er wird diese überaus ehrbare Tat als Keule benutzen und mir damit so oft über den Schädel schlagen, bis ich nachgebe.“
„Hat er gesagt, dass er dich liebt?“, wagte Daisy zu fragen.
Lillian schnaubte verächtlich. „Nein, darüber hat er kein einziges Wort verloren.“
Verwirrt runzelte Daisy die Stirn. „Lillian – machst du dir Sorgen, weil er dich nur wegen des Parfüms begehren könnte?“
„Nein, ich – Himmel, daran habe ich gar nicht gedacht, ich bin zu durcheinander …“ Stöhnend nahm Lillian das nächstbeste Kissen und presste es sich aufs Gesicht, als wollte sie sich ersticken. Was ihr zurzeit gar nicht so schrecklich erschien.
Obwohl das Kissen ziemlich dick war, erstickte es doch nicht ganz Daisys Stimme. „Willst du ihn heiraten?“
Die Frage verursachte Lillian einen Stich ins Herz. Sie warf das Kissen zur Seite. „Nicht so! Nicht, wenn er diese Entscheidung trifft ohne Rücksicht auf meine Gefühle und dabei behauptet, er tue es nur, weil ich sonst kompromittiert würde.“
Sorgfältig dachte Daisy über ihre Worte nach. „Ich kann nicht glauben, dass Lord Westcliff es so sieht“, sagte sie.
„Er scheint mir nicht der Mann zu sein, der ein Mädchen einfach ins Bett mitnimmt oder sie heiratet, wenn er es nicht wirklich will.“
„Man kann nur hoffen“, sagte Lillian finster, „dass er Rücksicht nimmt auf das, was ich will.“ Sie erhob sich und ging zum Waschtisch, wo sie ihr bleiches Gesicht im Spiegel sah. Sie goss Wasser in die Schüssel, spritzte sich ein wenig davon ins Gesicht und wusch sich mit einem Tuch. Eine kleine Wölke aus Zimtpuder stieg in die Luft, als sie eine Dose öffnete und ihre Zahnbürste hineintauchte. Das herbe Aroma des Zimts vertrieb den säuerlichen Geschmack aus ihrem Mund, und sie spülte ihren Mund energisch aus, bis ihre Zähne schließlich so sauber und glatt wie Glas waren. „Daisy“, sagte sie und warf einen Blick über ihre Schulter zurück. „Würdest du etwas für mich tun?“
„Ja,
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