Herbstfeuer
sich nun auf eine Schreibtischecke. Lillian runzelte die Stirn. Er sollte verstehen, dass sie ihn keineswegs bewusst hintergangen hatte, das war ihr wichtig. „Mylord, bitte verzeihen Sie mir. Es war nicht meine Absicht…“
„Süße, eine Entschuldigung ist nicht nötig.“ St. Vincent musterte sie so eindringlich, als wollte er ihre geheimsten Gedanken erraten. „Sie haben nichts falsch gemacht. Ich weiß sehr gut, wie leicht es ist, eine Unschuld zu verführen.“ Nach einer geschickten Pause fügte er hinzu: „Wie es scheint, weiß Westcliff es auch.“
„Hör mal…“, hob Westcliff wütend an.
„So etwas geschieht, wenn ich versuche, ein Gentleman zu sein“, unterbrach ihn St. Vincent. Er streckte den Arm aus und berührte eine von Lillians Haarlocken. „Hätte ich meine übliche Taktik eingesetzt, ich hätte Sie zehnmal verführen können, und jetzt wären Sie mein. Aber wie es scheint, habe ich zu viel Vertrauen in Westcliffs viel gepriesenes Ehrgefühl gesetzt.“
„Es war mein Fehler ebenso wie seiner“, sagte Lillian, fest entschlossen, ehrlich zu sein. An seiner Miene erkannte sie allerdings, dass er ihr nicht glaubte.
Statt ihr zu widersprechen, ließ St. Vincent die Locke los und legte den Kopf schief. „Liebes, was ist, wenn ich Ihnen nun sage, dass ich Sie trotzdem will, ungeachtet dessen, was zwischen Ihnen und Westcliff geschehen ist?“
Angesichts dieser Frage gelang es ihr nicht, ihr Erstaunen zu verbergen.
Marcus, der hinter ihr stand, konnte nicht mehr schweigen und seine Verärgerung nicht länger verhehlen. „Was du willst, ist ohne Bedeutung, St. Vincent. Tatsache ist – sie gehört jetzt mir.“
„Wegen eines bedeutungslosen Aktes?“, gab St. Vincent kühl zurück.
„Mylord“, sagte Lillian zu St .Vincent, „für mich – für mich war es nicht bedeutungslos. Und möglicherweise wird es Folgen haben. Ich kann nicht den einen Mann heiraten und von dem anderen ein Kind erwarten.“
„Meine Liebe, dergleichen geschieht ständig. Ich würde das Kind als mein eigenes anerkennen.“
„Ich höre mir das nicht länger an“, ließ Marcus sich drohend vernehmen.
Ohne ihn zu beachten, sah Lillian St. Vincent entschuldigend an. „Ich kann nicht. Es tut mir leid. Die Würfel sind gefallen, Mylord, und ich kann nichts mehr ändern. Aber …“ Sie reichte ihm die Hand. „Aber trotz allem, was geschehen ist, hoffe ich, dass Sie mich weiterhin zu Ihren Freunden rechnen.“
St. Vincent lächelte merkwürdig bedeutungsvoll und hielt ihre Hand einen Moment lang umfangen, ehe er sie losließ. „Ich kann mir nur eine einzige Situation vorstellen, in der ich Ihnen irgendetwas verweigere, Süße … Natürlich werde ich Ihr Freund sein.“ Über ihren Kopf hinweg warf er seinem Freund einen Blick zu, der keinen Zweifel daran ließ, dass die Dinge zwischen ihnen noch nicht geklärt waren. „Ich glaube nicht, dass ich länger bleiben werde“, sagte er. „Obwohl ich es bedaure, wenn meine vorzeitige Abreise für Gerede sorgt, so fürchte ich doch, dass es mir nicht ganz gelingen wird, meine – nun, Enttäuschung zu verbergen, daher halte ich es für das Beste, wenn ich jetzt gehe. Zweifellos werden wir viel zu besprechen haben, wenn wir uns nächste Woche wiedersehen.“
Aus zusammengekniffenen Augen sah Marcus zu, wie der andere hinausging und die Tür hinter sich schloss.
In der darauf folgenden Stille sann Marcus über St. Vincents Bemerkungen nach. „Nur eine Situation, in der er dir etwas verweigert – was soll das heißen?“
Lillian fuhr herum und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Ich weiß es nicht, und es ist mir egal! Sie haben sich immöglich benommen, und St. Vincent ist zehnmal so sehr ein Gentleman wie Sie!“
„Das würdest du nicht sagen, wenn du ihn nur ein wenig kennen würdest.“
„Ich weiß, dass er mich mit Respekt behandelt hat, während Sie in mir eine Schachfigur sehen, die man hierhin und dorthin schieben kann …“ Mit beiden Fäusten schlug sie gegen seine Brust, bis er sie in die Arme schloss.
„Du wärst mit ihm nicht glücklich geworden“, sagte Marcus, ohne auf ihren Widerstand zu achten, als wäre sie nur eine Katze, die er am Genick gepackt hatte. Der Überrock, den er ihr um die Schultern gehängt hatte, glitt zu Boden.
„Wie kommen Sie darauf, dass es mir mit Ihnen besser ergehen würde?“
Er umfasste ihre Handgelenke und schob sie hinter ihren Rücken und stöhnte leicht, als sie gegen sein Schienbein
Weitere Kostenlose Bücher