Herbstfeuer
vorsichtig:
„Wenn Lord Westcliff und ich heiraten – es würde vermutlich viele Einwände seiner Verwandten und Freunde geben, oder?Vor allem von der Countess.“
„Seine Freunde würden es nicht wagen“, erwiderte Lady Olivia sofort. „Und was meine Mutter angeht …“ Sie zögerte und erklärte dann rundheraus: „Sie hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass sie seine Wahl nicht billigt. Ich bezweifle, dass sie das jemals tun wird. Allerdings sind Sie damit in guter Gesellschaft, denn sie missbilligt nahezu jeden. Beunruhigt es Sie, dass sie gegen diese Verbindung ist?“
„Es fordert mich ungemein heraus“, sagte Lillian und brachte Lady Olivia damit zum Lachen.
„Oh, Sie gefallen mir“, stieß sie schließlich atemlos hervor, „Sie müssen Marcus heiraten, als Schwägerin wären Sie mir sehr recht.“ Herzlich lächelte sie Lillian an. „Und ich habe noch einen selbstsüchtigen Grund zu hoffen, dass Sie seinen Antrag annehmen. Obwohl Mr. Shaw und ich nicht planen, gleich nach New York zu ziehen, weiß ich doch, dass dieser Tag nicht mehr fern ist. Wenn das geschieht, würde es mich beruhigen zu wissen, dass Marcus verheiratet ist und jemanden hat, der sich um ihn sorgt, wenn seine beiden Schwestern so weit entfernt leben.“ Sie erhob sich von der Bank und ordnete ihre Röcke. „Ich habe Ihnen das alles erzählt, damit Sie verstehen, warum es für Marcus so schwierig ist, sich zu verlieben. Schwierig, aber nicht unmöglich. Meiner Schwester und mir ist es endlich gelungen, die Vergangenheit abzuschütteln, und zwar mithilfe unserer Ehemänner. Aber Marcus trägt von uns allen die schwersten Fesseln. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, ihn zu lieben. Aber wenn Sie ihm auf halbem Wege entgegenkommen könnten – vielleicht sogar noch ein bisschen weiter –, dann werden Sie, so glaube ich, niemals einen Grund haben, das zu bedauern.“
Auf dem Anwesen wimmelte es von geschäftigen Dienstboten, die sich der komplizierten Aufgabe widmeten, die Habseligkeiten ihrer Herren und Herrinnen zu packen. Die meisten würden am übernächsten Tag abreisen, obwohl einige bereits aufbrachen. Doch nur wenige wollten so früh abreisen, denn niemand wollte den großen Abschiedsball verpassen, der am letzten Abend der Gesellschaft gegeben würde.
Lillian verbrachte viel Zeit mit ihrer Mutter und beobachtete Mercedes dabei, wie diese ein paar Hausmädchen bei der Arbeit herumkommandierte. Hunderte von Gegenständen mussten in die großen ledernen Schiffsreisekoffer gepackt werden, die die Lakaien heraufgebracht hatten. Nach der wunderbaren Wendung, die die Dinge in den letzten ein bis zwei Tagen genommen hatten, rechnete Lillian eigentlich damit, dass ihre Mutter jedes Wort und jede Geste mit ihr genau plante, um das Verlöbnis mit Lord Westcliff zu besiegeln. Doch Mercedes war überraschend schweigsam und ruhig und schien sich genau zu überlegen, worüber sie mit Lillian sprach. Mehr noch, Westcliff erwähnte sie überhaupt nicht.
„Was ist los mit ihr?“, fragte Lillian ihre Schwester, überrascht von Mercedes’ schweigsamer Art. Es war angenehm, nicht ständig mit ihrer Mutter zu streiten, andererseits hatte Lillian sich darauf eingestellt, dass Mercedes sie überrennen würde wie ein durchgegangenes Pferd.
Daisy zuckte die Achseln und erwiderte: „Man kann nur vermuten, dass sie – in Anbetracht der Tatsache, dass du das Gegenteil von dem getan hast, was sie dir geraten hat, und dabei Lord Westcliff geangelt hast – beschlossen hat, die ganze Angelegenheit dir zu überlassen. Ich behaupte, sie wird sich taub und blind stellen zu allem, was du tust, solange es dir gelingt, das Interesse des Earls wachzuhalten.“
„Dann würde sie nichts dagegen haben, wenn ich mich später am Abend in Lord Westcliffs Zimmer schleiche?“
Daisy lachte leise. „Wenn du sie darum bittest, würde sie dir vermutlich helfen.“ Sie warf Lillian einen interessierten Blick zu. „Und was willst du mit Lord Westcliff tun, wenn du mit ihm allein in seinem Zimmer bist?“
Lillian fühlte, wie sie errötete. „Verhandeln.“
„Oh. So nennst du das also?“
Lillian unterdrückte ein Lächeln und kniff die Augen zusammen. „Sei nicht boshaft, sonst erzähle ich dir später keine spannenden Einzelheiten.“
„Die muss ich gar nicht von dir erfahren“, erwiderte Daisy hochnäsig. „Ich habe die Romane gelesen, die Lady Olivia mir empfohlen hat – und jetzt wage ich zu behaupten, ich weiß mehr als du und
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