Herbstfeuer
Annabelle zusammen.“
Lillian musste lachen. „Liebes, ich bin nicht sicher, dass diese Romane ganz genau sind in ihrer Beschreibung von Männern – oder von diesen gewissen DDingen.“
Daisy runzelte die Stirn. „In welcher Beziehung nicht genau?“
„Nun, eigentlich gibt es keine – weißt du, keine Ohnmächten und keine blumigen Worte.“
Daisy betrachtete sie ernsthaft verstimmt. „Nicht einmal eine kleine Ohnmacht?“
„Um Himmels willen, du würdest nicht in Ohnmacht fallen wollen, sonst entgeht dir etwas.“
„Doch, würde ich. Ich würde am Anfang gern bei vollem Bewusstsein sein und den Rest dann ohnmächtig über mich ergehen lassen.“
Lillian sah sie belustigt an. „Warum?“
„Weil es sehr unangenehm klingt. Und abstoßend.“
„Das ist es nicht.“
„Was nicht? Unangenehm oder abstoßend?“
„Weder noch“, erklärte Lillian sachlich, obwohl es ihr schwerfiel, nicht zu lachen. „Ehrlich, Daisy. Ich würde es dir sagen, wenn es anders wäre. Es ist schön. Wirklich.“
Ihre jüngere Schwester musterte sie misstrauisch. „Wenn du das sagst.“
Lächelnd dachte Lillian an den Abend, der vor ihr lag, und fühlte einen Anflug von Sehnsucht, als sie sich vorstellte, mit Marcus allein zu sein. Ihr Gespräch mit Lady Olivia in der Orangerie hatte ihr gezeigt, wie bemerkenswert es war, dass er im Umgang mit ihr seine Zurückhaltung schon so weit aufgegeben hatte.
Vielleicht musste ihre Beziehung nicht zwangsläufig von Streit bestimmt sein. Für einen Streit brauchte man zwei.
Vielleicht würde es ihr gelingen zu erkennen, wann etwas eine Auseinandersetzung wert war und wann sie es einfach als unwichtig übergehen sollte. Und Marcus hatte bereits Anzeichen dafür gezeigt, dass er auf sie Rücksicht nahm. Da war zum Beispiel diese Entschuldigung in der Bibliothek gewesen, als Marcus ihren Stolz hätte verletzen können und es nicht getan hatte. So handelte kein Mann, der nicht zu Kompromissen fähig war.
Wenn sie nur ein wenig geschickter wäre, vielleicht wie Annabelle, dann, davon war Lillian überzeugt, würde sie mit Marcus fertig werden. Aber sie war immer zu geradeheraus und direkt gewesen, um sich um weibliche Diplomatie zu kümmern. Aber, dachte sie bei sich, nun bin ich ganz ohne Diplomatie so weit gekommen, da laufe ich am besten einfach weiter geradeaus.
Während sie müßig die Schublade des Frisiertischs in der Ecke durchging, suchte Lillian die Sachen heraus, die bis zu ihrer Abreise am übernächsten Tag noch gebraucht wurden. Ihre silberne Haarbürste, ein paar Haarnadeln, saubere Handschuhe – sie hielt inne, als sie das Duftfläschchen ertastete, das Mr. Nettle ihr gegeben hatte. ,Oje“, murmelte sie und setzte sich auf den Hocker, während sie den glitzernden Flakon betrachtete. „Daisy – bin ich verpflichtet, dem Earl zu sagen, dass ich einen Liebeszauber benutzt habe?“
Die Vorstellung schien ihre jüngere Schwester zu erschrecken. „Ich denke nicht. Welchen Grund sollte es dafür geben?“
„Ehrlichkeit?“
„Ehrlichkeit wird überschätzt. Irgendjemand sagte einmal: In Herzensangelegenheiten ist Geheimhaltung die oberste Tugend.“
„Das war der Duc de Richelieu“, sagte Lillian, die in ihrem Schulunterricht dasselbe Buch gelesen hatte. „Und das Zitat lautet richtig: In Staatsangelegenheiten ist Geheimhaltung die oberste Tugend.“
„Er war Franzose“, widersprach Daisy. „Ich bin sicher, dass er auch das Herz meinte.“
Lillian lachte und warf der Schwester einen liebevollen Blick zu. „Vielleicht hat er das. Aber ich will vor Lord Westcliff keine Geheimnisse haben.“
„Na schön. Aber denk an meine Worte. Es wäre keine richtige affaire d’amour, wenn du nicht ein paar kleine Geheimnisse hättest.“
22. KAPITEL
Zu später Stunde, als einige der Gäste sich bereits zurückgezogen hatten und andere sich unten im Kartenzimmer oder dem Billardraum aufhielten, schlich Lillian aus ihrem Zimmer, um Marcus zu treffen. Auf Zehenspitzen ging sie den Korridor entlang und bliebt abrupt stehen, als sie an der Stelle, wo zwei breite Gänge aufeinandertrafen, einen Mann warten sah. Der Mann trat vor, und sogleich erkannte sie in ihm Marcus’ Kammerdiener.
„Miss“, sagte er leise. „Mein Herr bat mich, Ihnen den Weg zu zeigen.“
„Ich kenne den Weg. Und er weiß, dass ich ihn kenne. Was zum Teufel tun Sie hier?“
„Mein Herr wollte nicht, dass Sie ohne Begleitung durchs Haus gehen.“
„Natürlich nicht“, sagte sie.
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