Herbstfeuer
sein, und ich bin beinahe sicher …“
„Halt den Mund!“, verlangte Lillian in entschiedenem Ton.
„… dass meine Schwester sich das Genick brechen wird“, schloss Daisy und erwiderte Lillians Blick.
Als sie das hörte, wirkte Annabelle besorgt. „Lillian, Liebes …“
„Ich muss gehen“, sagte Lillian knapp. „Ich will nicht zu spät kommen.“
„Ich weiß mit Bestimmtheit, dass Lord Westcliffs Hindernisparcours nichts für Anfänger ist.“
„Ich bin keine Anfängerin!“, rief Lillian aus.
„Es gibt ein paar schwierige Sprünge mit festen Stangen obenauf. Simon – das heißt, Mr. Hunt – führte mich durch den Parcours, kurz nachdem er gebaut worden war, erklärte mir, wie ich die verschiedenen Hindernisse nehmen muss, und selbst da war es noch recht schwierig. Und wenn deine Haltung nicht perfekt ist, dann …“
„Ich werde zurechtkommen“, unterbrach Lillian sie kühl. „Himmel, Annabelle, ich hätte dich nie für so einen Angsthasen gehalten.“
Annabelle, die sich inzwischen an Lillians scharfe Zunge gewöhnt hatte, musterte deren abweisende Miene.
„Warum ist es nötig, dich selbst in Gefahr zu bringen?“
„Du solltest inzwischen wissen, dass ich keine Herausforderung scheue.“
„Und das ist eine bewundernswerte Eigenschaft, meine Liebe“, erwiderte Annabelle sofort. „Außer du vergeudest sie bei einer sinnlosen Mutprobe.“
Noch nie zuvor waren sie einem Streit so nahe gewesen. „Sieh mal“, sagte Lillian ungeduldig. „Wenn ich stürze, darfst du mich herunterputzen, und ich werde auf jedes Wort hören. Aber heute wird mich niemand am Reiten hindern – und daher besteht das einzig Sinnlose darin, dass du dich darüber aufregst.“
Damit wandte sie sich ab und ging davon, während Daisy murmelte: „Schließlich ist es ihr eigener Hals …“
Nachdem Lillian gegangen war, warf Daisy Annabelle einen entschuldigenden Blick zu. „Es tut mir leid. Sie meinte es nicht böse. Du weißt, wie sie ist.“
„Du musst dich nicht entschuldigen“, meinte Annabelle verstimmt. „Wenn sich jemand entschuldigen müsste, dann wäre das Lillian. Allerdings gehe ich davon aus, dass ich ihr eher gestohlen bleiben kann, als dass sie das tun würde.“
Daisy zuckte die Achseln. „Manchmal muss meine Schwester die Konsequenzen für ihr Tun tragen. Aber eines der Dinge, die ich an ihr bewundere, ist die Eigenschaft zuzugeben, wenn sie sich geirrt hat, auch wenn sie sich damit selbst schadet.“
Annabelle erwiderte ihr Lächeln nicht. „Ich bewundere sie ebenfalls, Daisy. So sehr, dass ich sie nicht blindlings der Gefahr in die Arme laufen lassen kann – oder in diesem Fall dorthin reiten. Offensichtlich begreift sie nicht, wie gefährlich dieser Parcours ist. Westcliff ist ein erfahrener Reiter, und er hat den Parcours seinen eigenen Fähigkeiten entsprechend bauen lassen. Selbst mein Gemahl sagt, die Strecke sei schwierig, obwohl er ein guter Reiter ist. Und wenn Lillian es versucht und sie das Springen im Damensattel nicht gewohnt ist…“ Sie runzelte die Stirn. „Die Vorstellung, sie könnte sich bei einem Sturz verletzen oder gar sterben, ist mir unerträglich.“
Da meldete sich mit leiser Stimme Evie zu Worte. „Mr. Hunt ist auf der Terrasse. Er steht an den Flügeltüren.“
Alle drei drehten sich zu Annabelles hochgewachsenem, dunkelhaarigem Gemahl um, der schon fürs Reiten gekleidet war. Er war in Begleitung von drei Männern, die über eine Bemerkung von ihm lachten, offensichtlich über etwas nicht Gesellschaftsfähiges. Hunt war ein umgänglicher Mensch und daher sehr beliebt bei den Gästen, die gewöhnlich auf Stony Cross Park zusammenkamen. Mit spöttischem Lächeln ließ er seinen Blick über die Besucher schweifen, die draußen an den Tischen saßen, während die Dienstboten mit Servierplatten und Saftkrügen zwischen ihnen umhereilten. Doch sein Lächeln veränderte sich und wurde sanft und zärtlich, sobald er Annabelle sah, ein Ausdruck, der eine heftige Sehnsucht in Daisy weckte. Es war, als gäbe es zwischen den beiden ein unsichtbares Band, eine Verbindung, die durch nichts gestört werden konnte.
„Entschuldigt mich“, murmelte Annabelle und erhob sich. Sie ging zu ihrem Gemahl, der ihre Hand ergriff, kaum dass sie ihn erreicht hatte, und sie an seine Lippen hob. Dann sah er in ihr Gesicht, ließ die Hand los und neigte sich über sie.
„Glaubst du, sie erzählt ihm von Lillian?“, fragte Daisy.
„Ich hoffe es“, erwiderte
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