Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
einer Weile, die er ihn nur angesehen hatte, und wandte sich im nächsten Moment ab, um ins Wohnzimmer zu gehen. „Und jetzt werden wir darüber reden, was du ihm letzte Nacht angetan hast. Ich hoffe für dich, du hast eine gute Erklärung für seine Verletzungen, denn falls mir nicht gefällt, was du zu sagen hast, wirst du dir schon bald wünschen, mich niemals kennengelernt zu haben, Evan Chambers.“
„Ich … Es tut mir leid“, brachte er leise und erst nach mehreren Anläufen hervor, bekam dafür jedoch nur ein Schnauben zur Antwort.
Vergebung würde er heute kaum bekommen, aber er hatte sie auch nicht verdient. Bomer ließ die Schultern hängen und folgte David langsam ins Wohnzimmer, wo der sich auf einem der zwei Sessel niedergelassen hatte, die seine Couch flankierten. David beobachtete ihn still, wie er sich in der Tür herumdrückte und nicht wusste, was er sagen oder tun sollte. Am Ende hielt Bomer dem Blick nicht mehr stand und sah zu Boden.
„Mein Gott, was hat man dir nur angetan? Und was hat Adrian zu dir gesagt, dass du komplett die Fassung verloren und ihn geschlagen hast?“
Bomer schüttelte seinen Kopf. Darauf würde er nicht antworten. Er hatte auch Adrian nicht geantwortet und selbst für David, obwohl der eine Erklärung verdiente, konnte er nicht über seinen Schatten springen.
„Wie groß bist du, zwei Meter oder kurz darunter? Ein Schlag von dir würde reichen, dass ich vorerst nicht mehr aufstehe. Du warst ein Seal, Bomer. Du könntest mich töten. Und dennoch stehst du da an der Tür, traust dich nicht, mich anzusehen und lässt dich sogar von mir schlagen. Warum?“
„Ich hab's verdient.“
„Nein, das hast du nicht. Niemand verdient Prügel.“
„Ich habe Adrian geschlagen.“
„Deswegen auch mein Faustschlag. Meine Art, dir zu sagen, dass ich diesen Mann liebe und es verflucht noch mal nicht gutheiße, dass er deinetwegen verletzt ist. Es ist mir dabei auch scheißegal, dass er dich verteidigt hat und eine Teilschuld auf sich nimmt, weil er dich gestern bedrängt hat. Ich kenne Adrian und weiß, dass das nur zu gut der Wahrheit entspricht. Er überschreitet immer wieder Grenzen, wenn er helfen will. Aber darum geht es mir nicht und jetzt sieh mich an und rede mit mir!“
„Ich kann nicht.“
„Was ist mit dir passiert? Bei deinem letzten Auftrag für die Regierung? Was war der Grund dafür, dass dein Freund Mac sein Auge verloren hat, und dass du gleich nach deiner Rückkehr alles hingeworfen hast, um dich zu Tode zu saufen?“
David zog die richtigen Schlüsse, ebenso wie Adrian es gestern getan hatte. Und mit Sicherheit kannte er die Antwort auf all seine Fragen längst, der Kerl war nicht dumm. Warum David sie unbedingt durch ihn bestätigt haben wollte, war Bomer jedoch ein Rätsel.
„Ich will nicht darüber reden.“
„Verstehe, du schlägst ja lieber Menschen, denen du wichtig bist.“
Tiefschlag. Weit unter der Gürtellinie. Das hatte sich nicht einmal Adrian getraut. Bomer machte beunruhigt einen Schritt zurück.
„Wenn du jetzt gehst, sind wir geschiedene Leute!“
Bomer erstarrte auf der Schwelle. Der Tonfall war eindeutig. David meinte das todernst. „Und was ist mit Adrian?“, fragte er leise.
„Ich entscheide nicht für ihn, Evan, nur für mich. Du musst dich jetzt allerdings auch entscheiden. Schweigst du weiter und riskierst neue Aussetzer oder traust du dich, sprichst es aus und machst eine Therapie, um mit der Zeit damit leben zu lernen. Denn im Moment kannst du es nicht. Im Gegenteil. Du bist weit davon entfernt.“
„Du weißt nicht, wovon du da redest“, wehrte Bomer ab, spürte aber dabei, dass sein Widerstand zu bröckeln anfing. Davids ruhige, zu allem entschlossene Tonlage, brachte ihn nicht so auf die Palme, wie es Adrian getan hatte, obwohl ihre Worte ähnliche waren.
„Doch, Evan, das weiß ich. Das weiß ich nur zu gut. Als mein erster Mann starb, bin ich abgestürzt, und saß am Ende mit einem ganzen Rudel Schnapsflaschen im Schlafzimmer, um Schluss zu machen. Ich wäre in jener Nacht gestorben, wenn ich nicht einen Freund gehabt hätte, der nach mir schauen wollte und verhindert hat, dass ich an einer Alkoholvergiftung krepiere.“
Bomer schüttelte den Kopf, starrte weiterhin auf den Boden, weil er sich nicht traute David anzusehen. „Das ist nicht dasselbe.“
„Ich weiß. Jemanden zu verlieren oder vergewaltigt zu werden, ist ein ziemlich großer Unterschied, aber das Ergebnis hinterher ist das Gleiche.
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