Hercule Poirot schläft nie
Schreibtisch. Mayfield beobachtete ihn leicht verdutzt.
»Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben…«, b e gann er.
»Aber gewiss doch. Carlile. Carlile ist die Frage!«
Lord Mayfields Gesicht rötete sich ein wenig.
»Carlile ist über jeden Verdacht erhaben, Monsieur Po i rot! Er ist seit neun Jahren bei mir, als mein Privatsekr e tär. Er hat Zugang zu allen meinen Privatpapieren, und ich möchte Sie darauf hinweisen, dass er jederzeit in der Lage gewesen wäre, eine Abschrift der Pläne anzufert i gen, ohne dass es jemand gemerkt hätte.«
»Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen«, erwiderte Po i rot. »Wäre er schuldig, so hätte er es nicht nötig gehabt, einen primitiven Diebstahl zu inszenieren.«
»Auf alle Fälle bin ich von Carliles Loyalität überzeugt«, sagte Lord Mayfield. »Ich verbürge mich für ihn.«
»Carlile ist in Ordnung«, bekräftigte Sir George knapp.
Poirot spreizte mit einer eleganten Gebärde die Hände.
»Und diese Mrs Vanderlyn – die ist nicht in Ordnung?«
»Das kann man wohl behaupten«, rief Sir George.
Lord Mayfield fügte in gemäßigterem Ton hinzu: »Ich denke, Monsieur Poirot, über Mrs Vanderlyns – äh – A k tivitäten kann es keinen Zweifel geben. Genauere Au s künfte können Sie beim Außenministerium einholen.«
»Und die Zofe, meinen Sie, steckt mit ihrer Herrin u n ter einer Decke?«
»Allerdings«, antwortete Sir George.
»Diese Annahme scheint mir plausibel«, ergänzte Lord Mayfield vorsichtig.
Eine Pause trat ein. Poirot seufzte und rückte zerstreut ein paar Gegenstände auf einem Tisch neben sich z u recht. Dann sagte er:
»Die bewussten Papiere stellen also einen bestimmten Geldwert dar, ja? Das heißt, gestohlen wären sie fraglos eine große Summe wert.«
»Für eine gewisse Seite allerdings.«
»Nämlich?«
Sir George nannte die Namen von zwei europäischen Mächten.
Poirot nickte. »Und diese Tatsache wäre vermutlich j e dermann bekannt?«
»Mrs Vanderlyn bestimmt.«
»Ich sagte jedermann.«
»Doch ja, das nehme ich an.«
»Es wäre sich also jede Person mit einem Funken von Intelligenz über den Geldwert der Pläne im Klaren?«
»Ja, aber Monsieur Poirot…« Lord Mayfield machte ein ziemlich betretenes Gesicht.
Poirot hob die Hand. »Ich ziehe lediglich Erkundigu n gen nach allen Richtungen ein, wie man so schön sagt.«
Plötzlich stand er auf, trat flink durch die Terrassentür ins Freie und untersuchte mit einer Taschenlampe das Gras an der Stelle, wo die Terrasse an den Rasen grenzte.
Die beiden Männer beobachteten ihn.
Nach einer kleinen Weile kam er wieder herein, setzte sich und fragte: »Sagen Sie, Lord Mayfield, Sie haben den Täter, diesen nächtlichen Eindringling, nicht verfolgen lassen?«
Lord Mayfield zuckte die Achseln. »Er hätte unten vom Garten aus ohne Mühe auf die Hauptstraße gelangen können. Wenn er dort einen Wagen stehen hatte, wäre er bald außer Reichweite gewesen…«
»Aber da gibt es noch die Polizei.«
»Sie vergessen, Monsieur Poirot«, unterbrach ihn Sir George, »wir können kein öffentliches Aufsehen riski e ren. Wenn publik würde, dass diese Pläne gestohlen wo r den sind, wäre das außerordentlich schädlich für unsere Partei.«
»Ah ja«, stimmte Poirot zu. »Man darf la Politique nicht vergessen. Die Diskretion muss unter allen Umständen gewahrt bleiben. Stattdessen schicken Sie nach mir. Nun ja, vielleicht ist es einfacher so.«
»Sie rechnen mit einem Erfolg, Monsieur Poirot?«, e r kundigte sich Lord Mayfield eine Spur ungläubig.
Der kleine Mann zog die Schultern hoch.
»Warum nicht? Man muss nur logisch überlegen – die Dinge richtig durchdenken.« Er schwieg einen Auge n blick und sagte dann: »Ich würde jetzt gern mit Mr Carlile sprechen.«
»Gewiss.« Lord Mayfield erhob sich. »Ich bat ihn au f zubleiben. Er hält sich sicherlich irgendwo nebenan zu Ihrer Verfügung.«
Er verließ das Zimmer.
Poirot sah Sir George an. »Eh bien. Was ist mit diesem Mann auf der Terrasse?«
»Mein lieber Monsieur Poirot. Fragen Sie nicht mich! Ich habe ihn nicht gesehen und kann ihn also auch nicht beschreiben.«
Poirot beugte sich vor. »Das sagten Sie schon. Aber in Wahrheit verhält es sich ein bisschen anders, nicht?«
»Was soll das heißen?«, fragte Sir George schroff.
»Wie soll ich es formulieren? Ihr Unglaube geht tiefer.«
Sir George wollte etwas sagen, schwieg dann aber.
»Nur zu, sprechen Sie«, sagte Poirot ermunternd. »Beide sind Sie am anderen
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