Hercule Poirot schläft nie
Schreibbl ö cke auf dem Bridgetisch und wandte sich schließlich an Lord Mayfield.
»Diese Angelegenheit ist komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheint. Eines jedoch ist völlig sicher. Die gestohlenen Pläne befinden sich noch im Haus.«
Lord Mayfield starrte ihn verblüfft an.
»Aber, mein lieber Monsieur Poirot, der Mann, den ich aus dem Arbeitszimmer laufen sah…«
»Es gab keinen solchen Mann.«
»Aber ich habe ihn gesehen…«
»Mit allem Respekt, Lord Mayfield, Sie bildeten es sich nur ein. Der Schatten eines Astes hat Sie getäuscht. Die Tatsache, dass ein Diebstahl geschehen ist, erschien I h nen natürlich ein Beweis dafür zu sein, dass Ihre Be o bachtung der Wirklichkeit entsprach.«
»Also, Monsieur Poirot, ich habe mit eigenen Augen g e sehen…«
»Meine Augen sind immerhin um Längen besser als I h re, alter Freund«, warf Sir George ein.
»Sie müssen mir gestatten, Lord Mayfield, dass ich auf meiner Feststellung beharre: Es ist niemand über die Te r rasse auf die Wiese gelaufen.«
Mr Carlile erbleichte. »In diesem Fall«, sagte er steif, »fällt der Verdacht automatisch auf mich. Ich bin der einzige, der den Diebstahl begangen haben kann.«
Lord Mayfield sprang auf.
»Unsinn! Egal, wie Monsieur Poirot darüber denkt, ich schließe mich seiner Meinung nicht an. Ich bin überzeugt von Ihrer Unschuld, mein lieber Carlile. Ich bin sogar bereit, mich persönlich für Sie zu verbürgen.«
»Aber ich habe keineswegs behauptet, dass ich Mr Ca r lile verdächtige«, wandte Poirot mit sanfter Stimme ein.
»Nein«, sagte Carlile, »doch aus Ihrer Feststellung geht klar hervor, dass nur ich als Täter in Frage komme.«
»Du tout! Du tout!«
»Aber ich habe Ihnen erklärt, dass niemand im Korr i dor an mir vorbei zur Tür des Arbeitszimmers gegangen ist.«
»Zugegeben. Es hätte jedoch jemand durch die Terra s sentür ins Arbeitszimmer gelangen können.«
»Sie sagten doch gerade, das eben sei nicht geschehen!«
»Ich sagte, dass niemand von außerhalb hätte über die Wiese kommen und gehen können, ohne Spuren zu hi n terlassen. Aber man hätte es von innerhalb des Hauses aus bewerkstelligen können. Man hätte sich beispielsweise vom Salon hier auf die Terrasse, von dort ins Arbeit s zimmer und wieder zurück schleichen können.«
»Aber Lord Mayfield und Sir George Carrington waren auf der Terrasse«, wandte Mr Carlile ein.
»Sie waren auf der Terrasse, gewiss, doch sie waren en Promenade. Sir George Carringtons Augen mögen scharf sein wie die eines Adlers«, Poirot vollführte eine kleine Verbeugung, »aber er hat sie nicht im Hinterkopf! Das Arbeitszimmer liegt ganz links außen, dann kommt der Salon hier, doch daran schließen sich noch zwei, drei, vielleicht sogar vier Räume an, die alle auf die Terrasse gehen.«
»Esszimmer, Billardzimmer, Frühstückszimmer und Bibliothek«, ergänzte Lord Mayfield.
»Und wie viele Male sind Sie die Terrasse auf- und a b spaziert?«
»Mindestens fünf- oder sechsmal.«
»Sehen Sie, es ist ganz einfach, der Dieb brauchte nur den richtigen Moment abzupassen.«
»Sie meinen also«, sagte Carlile langsam, »während ich in der Halle war und mit der Französin sprach, hat der Dieb inzwischen im Salon gewartet?«
»Das ist eine Vermutung. Es ist freilich nichts als eine Vermutung.«
»Das klingt mir nicht sehr wahrscheinlich«, brummte Lord Mayfield. »Viel zu riskant.«
»Da bin ich anderer Meinung, Charles«, widersprach der Luftmarschall. »Es ist absolut möglich. Wieso bin ich bloß nicht selbst auf diese Idee gekommen!«
»Sie verstehen also«, fuhr Poirot fort, »warum ich gla u be, dass sich die Pläne noch im Haus befinden. Das Pro b lem besteht nunmehr darin, sie zu finden.«
»Einfache Sache«, murmelte Sir George. »Jeden durc h suchen!«
Lord Mayfield machte eine abwehrende Geste und wollte etwas sagen, aber Poirot kam ihm zuvor.
»Nein, nein, so einfach ist das auch wieder nicht. Die Person, die die Pläne gestohlen hat, wird eine derartige Durchsuchung voraussehen und dafür sorgen, dass die Pläne nicht bei ihr – oder ihm – gefunden werden. Sie wurden zweifellos an einem neutralen Ort versteckt.«
»Schlagen Sie etwa vor, dass wir im ganzen Haus Oste r eiersuchen spielen sollen?«
Poirot lächelte. »Nein, nein, so plump brauchen wir nicht zu verfahren. Wir können das Versteck – bezi e hungsweise die Identität der schuldigen Person – auf Grund logischer Schlussfolgerungen ermitteln. Das wird die
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