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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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sich das Universum in Acht nehmen müssen. Wir Menschen gehen überall hin, und wir bleiben überall …«
    Charlotte musste schmunzeln. »Sie sind ein Philosoph, Michail Andrejewitsch.«
    Er winkte ab, obwohl es ihm sichtlich gefiel. »Mein Großvater war ein schweigsamer Mensch, aber man hat gespürt, dass er viel nachdachte. Ihn hat so schnell nichts erschüttert. Egal, um was es ging, er hatte immer die Ruhe weg. Außer wenn die Rede auf die Insel Saradkov kam. Die Teufelsinsel.«
    »Klingt richtig unheimlich.«
    »Er musste einmal dort notlanden, wegen eines Schadens an seiner Turbine. Schwierig genug mit einem Düsenjet, aber er muss dabei außerdem etwas erlebt haben, das ihn zu Tode erschreckt hat. Ich weiß nicht, was, viel mehr hat er nie darüber erzählt, aber er war nicht der Einzige. Eine Menge Seeleute, die die arktische See befahren, schwören heilige Eide, dass es auf dieser Insel nicht mit rechten Dingen zugeht. Dass ein Fluch auf der Insel liegt. Der Teufel selbst schläft dort, haben sie gesagt, im Eis begraben.« Jegorow blickte nachdenklich in sein Glas, in den Strom feiner, aufsteigender Perlen. »Interessanterweise gibt es eine alte sibirische Volkssage, wonach einst ein verheerender Krieg zwischen dem Himmel und den Menschen stattfand, so lange, bis eines Tages der Anführer der himmlischen Heerscharen, ein schwarzer Engel, herabstürzte und vom Eis verschlungen wurde. Sollte das Eis je schmelzen, so die Legende, wird der schwarze Engel wieder erwachen und der Krieg von Neuem entbrennen – und deshalb herrscht in diesem Teil der Welt ewige Kälte. Weil der Winter den Menschen zu Hilfe gekommen ist.«Er hob die Schultern. »Eine Geschichte, die die Menschen mit ihrem Schicksal und der ständigen Kälte versöhnen soll, nehme ich an. Sie ist schon so alt, dass die Leute sie gewissermaßen in den Genen verankert tragen.«
    »Kein Wunder, dass sie sich ängstigen«, meinte Charlotte.
    Jegorow warf prüfende Blicke umher, als fürchte er, belauscht zu werden. Dann beugte er sich zu ihr und fuhr halblaut und auf Französisch fort: »Aber soll ich Ihnen etwas wirklich Unheimliches verraten? Ein Freund, der bei der Weltraumbehörde arbeitet, hat mir Satellitenbilder der Insel Saradkov gezeigt, die vor Kurzem aufgenommen worden sind, mit Radar und was weiß ich. Jedenfalls: Diese Bilder zeigen, dass dort tatsächlich irgendetwas im Eis steckt. Gut, vermutlich kein schwarzer Engel, sondern ein Meteorit aus Eisen ou quelque chose comme ça . Aber da ist etwas, und es ruht mitten im ewigen Eis. Wobei – so ewig ist das Eis nicht mehr. Es ist gerade dabei zu schmelzen. Unheimlich, oder? Man darf gespannt sein, was zum Vorschein kommt.«
    In diesem Moment tauchte Charlottes Vater wieder auf, und es war deutlich zu spüren, dass Jegorow das Thema in seiner Gegenwart nicht weiter vertiefen wollte. Vater hielt ein Glas in der einen und einen Teller mit Häppchen vom Büffet in der anderen Hand und meinte: »Ihr solltet euch beeilen. Französische Künstler scheinen auch im 21. Jahrhundert an Hunger zu leiden.«
    An diesem Abend klappte Charlotte ihren Laptop auf und schrieb eine Mail an Adrian Cazar. Falls er noch immer eine Insel suche, auf die seine Kriterien zuträfen, solle er doch einmal sein Augenmerk auf das Saradkov-Eiland im russischen Polarmeer richten.
    Am nächsten Tag reiste André ab; sein Studium erlaubte ihm nur kurze Abwesenheiten. Es war schwer zu erraten, ob er enttäuscht von ihrer Begegnung war; er ließ es Charlotte gegenüber keinen Moment an Höflichkeit mangeln und wirkte unverändert zu alt für sein Alter.
    Dass Mutter enttäuscht war, daran hingegen gab es keinen Zweifel. »Eins muss dir klar sein, Charlotte«, erklärte sie ihrer Tochter auf dem Rückweg vom Flughafen spitzlippig, »es gibt für uns Frauen so etwas wie ein Verfallsdatum. Davor schützt auch Schönheit nicht. Jede Schönheit verblüht.«
    »Ich verfalle lieber, als mich zu langweilen«, erwiderte Charlotte genervt und dachte an Brenda. Die hatte es richtig gemacht. Man konnte sagen, was man wollte, sie hatte es einfach richtig gemacht.
    Den Rest der Fahrt über schwieg Mutter. Doch es war kein Schweigen, das Resignation bedeutete, das wusste Charlotte. Es bedeutete nur, dass sie sich neue Argumente zurechtlegte.
    Also sah sie zu, dass sie aus dem Haus kam. Ohne große Diskussionen, nur tschüss und weg, als der Regen gerade pausierte.
    Was machte es schon, dass es regnete, wenn man in der Metro sitzen und fahren

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