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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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d’État; er ist einer der Besten seines Jahrgangs. Und er ist so sympathisch, man glaubt es kaum.«
    »Oh, ich glaub dir aufs Wort«, meinte Charlotte.
    »Ich bin sicher, ihr werdet euch hervorragend verstehen«, schloss Mutter zufrieden.
    Wie sich herausstellte, würden sie sich jedenfalls nie streiten – und zwar, weil sie beim besten Willen keinen Grund dazu gefunden hätten. André, ein adretter junger Mann mit ausgeprägtem Adamsapfel und den Manieren eines Offiziersanwärters, redete am liebsten von seinem Studium und von diffizilen Rechtsfällen. Wenn Charlotte etwas sagte, hörte er aufmerksam zu und gab ihr dann in allem recht. Sie hätte ihm sagen können, dass sie sich unter einem Gespräch etwas anderes vorstellte, aber er machte nicht den Eindruck, als ob er das verstanden hätte.
    Abgesehen davon verlief das Geburtstagsfest harmonisch. Sogar Vater nahm sich an diesem Tag alle Zeit der Welt, wirkte, als kenne er so etwas wie wichtige Termine und unaufschiebbare Verpflichtungen überhaupt nicht.
    Am nächsten Tag waren sie zu einer Vernissage eingeladen, eine Ausstellung junger französischer Künstler, die nach Ansicht der Organisatoren das 21. Jahrhundert repräsentierten. Charlottes Vater hatte die Schirmherrschaft übernommen, also mussten sie alle mit und sich seine Rede anhören. Nach ihm würde der russische Staatssekretär für Kulturaustausch sprechen. Alles war höchst politisch; die Künstler standen verunsichert am Rand und sahen so unwichtig aus, wie sie tatsächlich waren.
    Bei dem russischen Staatssekretär handelte es sich zu Charlottes Überraschung um niemand anderen als um Michail Jegorow, den ehemaligen Gesandten in Tokio. »Michail Andrejewitsch!«, sprach sie ihn an, nachdem die Reden überstanden waren und das Büffet eröffnet wurde. »Erkennen Sie mich noch?«
    Das tat er. »Charlotte? Aber ja! Ich habe mich schon vorhin gefragt, ist das nicht die bezaubernde Tochter meines alten Freundes Jean? Und – sie ist es!« Er deutete eine Verbeugung an. »Und Sie sprechen mittlerweile hervorragend Russisch, stelle ich fest.«
    »Ein wenig«, schränkte Charlotte ein. Inzwischen fiel es ihr nicht mehr so leicht, eine neue Sprache zu lernen, wie als Kind.
    »Ihr kennt euch?«, wunderte sich Vater, der mit zwei Gläsern Champagner ankam.
    »Von einem Empfang in Tokio«, sagte Charlotte, ins Französische wechselnd. Sie sah Jegorow an. »Sie haben damals gerade von einer Teufelsinsel gesprochen, wenn ich mich recht entsinne.«
    Jegorow runzelte nachdenklich die Stirn. » Ah, oui. C’est vrai .« Er richtete den Zeigefinger auf Charlottes Vater. »Ich hatte Ihnen gerade von meinen Großeltern erzählt, als Ihre Tochter dazukam und … Es ging auch um eine Insel, nicht wahr?«
    Charlotte nickte. »›Die Insel der Heiligen‹. Ein Shinto-Schrein.«
    Vater lächelte verlegen, er erinnerte sich offenbar nicht. Er drückte Jegorow das eine und Charlotte das andere Champagnerglas in die Hand. »Ich hole mir noch eins.« Damit verschwand er wieder im Gewühl.
    Jegorow prostete Charlotte zu. »Mein Großvater war an der Küste stationiert. Basis Amderma, südlich von Nowaja Semlja, dem Atombomben-Testgelände. Am Ende der Welt, mit anderen Worten. Er hat Tupolew-Abfangjäger geflogen und darauf gewartet, dass uns die böse NATO überfällt. Ich durfte ihn einmal dort besuchen – da war er allerdings schon kein aktiver Kampfpilot mehr, sondern Ausbilder. Was für ein öder Ort! Ich erinnere mich an kahle Felsen, an Eis und raue See und daran, dass nirgends etwas wuchs. Da oben ist arktische Tundra! Es war verflucht kalt, es stürmte, und die Unterkünfte waren praktisch nicht isoliert. Die Startbahn war eine bessere Steinpiste. Die Soldaten haben Flechten von den Felsen gekratzt, getrocknet und geraucht, wenn sie keinen Tabak hatten.« Er lachte. »Die glorreichen sowjetischen Streitkräfte waren eindeutig kein Platz für Weichlinge.«
    »Schauerlich«, meinte Charlotte. Sie betrachtete den ehemaligen Gesandten. Alt war er geworden. Die buschigen Augenbrauen schimmerten grau, fast weiß, und er sah mager aus.
    Er nickte versonnen, versunken in Erinnerungen. »Ja, schauerlich. Und ich war im Sommer dort! Wie es im Winter zuging, kann ich mir bis heute nicht vorstellen.« Er nippte an seinem Glas. »Manchmal ist es kaum zu glauben, wo Menschen sich überall niederlassen. Überall. Wenn wir so weit kommen sollten, Raumschiffe zu den Sternen zu bauen, dann sag ich Ihnen eines, Charlotte, dann wird

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