Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
entschlossen, den Rest stehen zu lassen. Saures Zeug, das sie hier für Wein hielten. »Was ist eigentlich aus deiner Maschine von damals geworden? Deinem Komplex? «
Er lehnte sich zurück. »Tja. Seltsame Geschichte. Wir haben das Lager aufgelöst, alles abtransportieren lassen … bloß: Als das Schiff in Hongkong ankam, war die Kiste mit dem Komplex verschwunden.«
»Also hat ihn jemand gestohlen.«
»Das ist zumindest die offizielle Version.« Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. »Es gibt allerdings Leute, die allen Ernstes behaupten, in dem Komplex sei eventuell noch ein Programm aktiv gewesen, das bewirkt habe, dass die Elemente die Kiste unterwegs in Späne zerlegt und sich dann ins Meer gestürzt hätten …«
Sie musste auch grinsen. »Was Leute so alles behaupten.«
»Ja, nicht wahr?« Er wurde wieder ernst. »Auf jeden Fall war es gut so. Sonst hätte das chinesische Militär womöglich eine Waffe daraus gemacht. Waffen zu bauen ist immer einfacher, als Maschinen zu bauen, die was Vernünftiges bewirken. Weil zerstören eben grundsätzlich einfacher ist als aufzubauen.«
»Und außerdem«, ergänzte Charlotte, »wolltest du nicht, dass jemand auf deinen Forschungen aufbaut und dir womöglich zuvorkommt.«
Er wirkte ertappt. »Ein glücklicher Nebeneffekt.« Er hüstelte. »Wenn du willst, kannst du mich ja mal besuchen. Ein bisschen was könnte ich dir schon zeigen.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und schob sie ihr hin. »Hier, meine Adresse. Das liegt außerhalb der Stadt, hoch in den Bergen. Völlig einsam. Aber du kannst in der Gegend jeden nach dem Weg fragen, das Haus kennen dort alle. Es hat mal einem berühmten Countrysänger gehört, auf den sie immer noch mächtig stolz sind.«
»Und jetzt lebst du in dem berühmten Haus«, sagte Charlotte. »Ganz allein.«
Er sah sie ausdruckslos an. »Nicht ganz. Ich lebe mit einer Frau zusammen.«
Das versetzte ihr einen Stich. Natürlich, er hatte jedes Recht … Natürlich. Sie hatte ihn immer abgewiesen. Sie hatte alles getan, um ihm jede Hoffnung auf sie zu rauben. Natürlich.
Und trotzdem …
»Schön«, sagte sie tapfer, nickte und lächelte, was so anstrengend war, als sei ihr Gesicht in eine Maske aus Hartgummi eingeschlossen. »Freut mich für dich.«
Als an diesem Abend Adrian Cazar anrief, willigte sie ein, ihn in Boston zu treffen und sich ernsthaft zu überlegen, ihn auf eine Expedition zu einer russischen Polarinsel zu begleiten.
Es stimmte: Hiroshi Kato lebte in der Tat mit einer Frau zusammen. Sie hieß Patricia Steel, stammte aus Kentucky, war 53 Jahre alt und Haushälterin. Sie bewohnte eine gemütlich eingerichtete Dreizimmerwohnung in einem Anbau und schüttelte jeden Morgen den Kopf, wenn sie das eigentliche Anwesen betrat. Das Haus hatte sechs Bäder und einundzwanzig Zimmer, viele davon so groß wie Tanzsäle, alle mit Böden aus nahezu schwarzem poliertem Tropenholz und mit riesigen Fensterfronten, die einen atemberaubenden Ausblick über die Rocky Mountains boten.
Und praktisch alle Räume waren leer .
Es gab ein Schlafzimmer von den Dimensionen einer kleinenTurnhalle, in dem lediglich ein Futon auf dem Boden lag und darauf eine schneeweiß bezogene Decke.
In einem der größten Säle, einige Stufen tiefer gelegen als der Rest des Hauses, stand einsam ein großer Korbsessel. Auf dem tiefdunklen, auf Hochglanz polierten Holzboden nahm er sich aus wie eine Insel in einem Meer aus schwarzem Wasser. Der seltsame Mann, für den Patricia Steel arbeitete, saß hier manchmal tagelang und starrte, reglos und in unergründliches Nachdenken versunken, über die Berge und Täler jenseits der Fensterscheiben. Sie durfte ihn dann nicht ansprechen. Alles, was sie durfte, war, ihm etwas zu essen und trinken zu bringen, auf einem Tablett, das sie neben ihm auf den Boden stellte. Doch oft stand am nächsten Tag noch alles unberührt da.
Das Arbeitszimmer war nicht ganz so leer. Fünf lange Konferenztische bildeten ein riesiges U, auf dem insgesamt einundzwanzig Computer Tag und Nacht arbeiteten. Das Geräusch, das sie dabei machten, ließ an ein Geschwader Hubschrauber denken, irgendwo jenseits des Horizonts, aber im Anflug befindlich. Hier durfte Patricia Steel nicht einmal staubsaugen (das erledigte ein kleiner Roboter, der aussah wie ein großer Quecksilbertropfen, immer dann, wenn niemand im Zimmer war), deshalb betrat sie diesen Raum erst gar nicht.
Dass es im Untergeschoss noch ein aufwendig ausgestattetes
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