Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Eckpunkt liegend.
Das Weitere war nicht mehr schwierig gewesen. Zwar verfügtendie Naniten nicht über ein Erdnavigationssystem, aber dafür waren sie imstande, zurückgelegte Entfernungen und Richtungen auf den Mikrometer präzise zu messen. Alles, was Hiroshi zu tun brauchte, war, die Distanz zwischen seinem Labor und dem Zielgebiet – der Insel im Burntwood Lake – möglichst genau zu bestimmen und den Naniten dann einen Befehl der Art zu erteilen, »geht zunächst 2507 Kilometer, 318 Meter und 12 Zentimeter nach Norden, anschließend 1689 Kilometer, 781 Meter und 3 Zentimeter nach Osten«. Als sie am Ziel angekommen waren, ließ er sie einen langen roten Stab hervorbringen, der aus der Erde ragte: Den hatte er tatsächlich auf dem von der Webcam übertragenen Bild ausgemacht, mitten auf der Insel.
Auf Anhieb ins Schwarze getroffen. Beinahe unheimlich.
Er hatte die Geschwindigkeit, mit der die Naniten sich fortzubewegen imstande waren, nicht ausgereizt. Es war nicht nötig gewesen. Er wusste nicht genau, wie schnell sie hätten dort sein können – innerhalb von ein paar Stunden? –; es hatte ihm genügt, dass sie nach einer Woche am Ziel ankamen.
Das war auch für ihn Zeit genug, sich innerlich auf das vorzubereiten, was danach kam. Denn der nächste Befehl, den er den Naniten erteilte, war der, ein Programm auszuführen, das fertig in ihren Speichern lag, ein Programm, das sie auf die Erde mitgebracht hatten. An dem hatte Hiroshi nichts verändert. Er wollte sehen, wie es unbeeinflusst ablief.
Er vergewisserte sich noch einmal – unnötigerweise –, dass die Aufzeichnung lief, dann gab er den Startbefehl.
Es ging sofort los, mit atemberaubender Geschwindigkeit. Energiefühler senkten sich in die Tiefe, wie sie es auch unterwegs immer wieder getan hatten, wenngleich nie in dieser enormen Anzahl. Die Naniten replizierten sich, der Meta-Komplex wurde zum Meta-Meta-Komplex, zum Meta-Komplex dritter, vierter, bald fünfzigster Ordnung und mehr. Positionierungsbahnen reichten kilometerweit ins Umland, verzweigten sich auf der Suche nach besonders seltenen Mineralien wie feine Wurzeln eines Baumes. Transportereinheiten rasten diese Bahnenentlang, schleppten Prospektorelemente, Schürfer, Cutter und schließlich Molekülstrukturen, die dazu dienten, mit Atomen beladen, woandershin transportiert und dort wieder entladen zu werden, Atom um Atom. Vorräte an allen möglichen Elementen entstanden.
Andere Schürfelemente taten nichts anderes, als ein Loch in die Erde zu graben, das immer tiefer und tiefer wurde. Weitere Naniten zerlegten den Aushub in einzelne Moleküle, die entweder für spätere Verwendung eingelagert oder aber weggeworfen wurden. Erste Bauarbeiten begannen: Schwärme von Naniten ließen einen Strom von Eisen- und Kohlenstoffatomen in Richtung des Loches strömen, die andere Naniten vor Ort zu Ringen aus Stahl zusammensetzten, die das Loch umgaben, Ringe mit einer ausgefeilten inneren Struktur. Andere Naniten bauten Leitungen, riesige Energiespeicher, eigentümliche Steuereinheiten.
Und das Loch, das mitten auf der Insel senkrecht in die Erde führte, wurde immer tiefer. Hundert Meter. Zweihundert. Fünfhundert. Ein Kilometer. Zwei. Drei. Bei einer Tiefe von fünfeinhalb Kilometern hörte der Prozess schließlich auf, eine Bodenplatte entstand, und dann begannen die Lager, die ringsherum angelegt worden waren, zu dieser Bodenplatte zu strömen, um dort Atom für Atom zu einer Rakete zusammengesetzt zu werden, die eine Sonde voller Naniten in den Weltraum befördern würde.
Derweil luden die energieerzeugenden Komplexelemente die Speicher weiter voll, füllten sie bis zum Bersten mit Energie.
Hiroshi verfolgte fasziniert das Entstehen der Rakete, studierte die konstruktiven Einzelheiten, staunte über Sinn und Zweck von fast allen Details, die er sah. Die Aufzeichnung lief, ein Glück. Denn diese Maschine bot mehr technische Rätsel pro Kubikzentimeter, als ein einzelner Mensch im Lauf seines Lebens würde entschlüsseln können.
Kein großes Rätsel war dagegen die Konstruktion des Schachtes selber: ein simpler Linearmotor. Eine rasche Abfolge magnetischerFelder würde die Rakete in die Höhe befördern und beschleunigen, mit Werten, die kein lebendes Wesen ausgehalten hätte, was aber, da sich kein lebendes Wesen an Bord befinden würde, kein Problem war. Die Rakete würde die Schachtöffnung mit dreifacher Schallgeschwindigkeit verlassen, dann den Raketenmotor zünden, der sie weiter
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