Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Navigation, die imstande war, die Depots – die er auf irgendeine geeignete Weise festlegen musste – ausfindig zu machen; und schließlich Naniten, die in den Depots auf Sammler warteten, um sie zu entladen, das Quecksilber von der Methylgruppe zu trennen und den Raum für die nach und nach entstehenden Quecksilberlager zu schaffen.
Ein weiteres Problem war die Energieversorgung, wie meistens bei technischen Konstruktionen aller Art. Die Nanitenkomplexe würden in regelmäßigen Abständen zum Meeresgrund hinabsinken müssen, um kilometerlange Fühler in Richtung des heißen Erdkerns in den Boden zu senken, sich mit Energie vollzutanken und die Arbeit anschließend fortzusetzen.
Das war alles richtig anspruchsvoll. Und es gab nicht wenige Momente, in denen Hiroshi einfach nicht weiterwusste, schier daran verzweifelte, die mächtigsten Werkzeuge der Welt zu besitzen und nicht damit umgehen zu können.
Bei seinen geradezu manischen Streifzügen durch die metallene Bibliothek, dieses Vermächtnis einer technisch unfassbar überlegenen Zivilisation, stolperte Hiroshi immer wieder über ein Konstruktionsprogramm, aus dem er einfach nicht schlau wurde. Wenn er die Befehlssequenzen im Simulator ablaufen ließ, dann bildete sich etwas, das aussah wie ein Schwamm oder wie ein System bizarrer Blutgefäße: Wozu mochte das gut sein? Er hatte keine Ahnung. Die Art und Weise, wie dieses … Ding heranwuchs, löste allerhand Assoziationen in ihm aus, bloß keine, die ihm weiterhalfen. Normalerweise hätte er an diesem Punkt mit den Schultern gezuckt und sich einfach das nächste Programm vorgenommen, aber irgendwie ließ ihm dieses hier keine Ruhe. Und irgendwie brachte es ihn dazu, sich in den Pausen, die ihm kleinere Simulationsläufe boten, im Internet den Stand des Wissens über die Minamata-Krankheit zu erkunden.
Er fand nur dürftige Informationen. Man wusste einiges, aber nicht viel, und mehr würde es wohl nicht werden, weil die Krankheit dank höherer Umweltstandards praktisch kaum noch vorkam. Methylquecksilber wurde vom Magen schnell absorbiert, gelangte in den Blutkreislauf, überwand die Blut-Hirn-Schranke und lagerte sich im zentralen Nervensystem und im Gehirn ein, was zu Lähmungen, Taubheit, partieller Blindheit, Störungen des Bewegungssystems bis hin zu Krämpfen und geistiger Verwirrung führen konnte.
Nichts davon war heilbar.
In den ersten Dezembertagen wurde Hiroshi fertig. Allmählich füllte sich die Ferienanlage wieder, mit Winter- und Weihnachtsgästen, und allmählich begann man sich in der Verwaltung auch über die Dauer seines Aufenthalts zu wundern. Ein Problem, das erkannte er durchaus, aber er war nicht imstande gewesen, sich darum zu kümmern.
Er war bis ins Mark erschöpft, als er eines kalten Morgens bei Anbruch der Dämmerung an den Strand ging und seine Quecksilbersammler aussetzte. Er musste dazu nicht viel tun, brauchte nur das Stück Zucker, in dem er den Komplex deponiert hatte, ins Meer zu schleudern. Dann fasste er unter den Mantel, wo er den Zauberstab trug, und drückte den Knopf, der das Startsignal gab. Das war alles. Alles Weitere würden die Naniten selbstständig erledigen.
Natürlich sah man nicht das Geringste. Hiroshi blieb trotzdem stehen, verfolgte den prächtigen, hellvioletten Sonnenaufgang über den Bergen hinter ihm und fragte sich, was er nun tun sollte.
Er beobachtete die Wellen. Es war Flut, das Wasser näherte sich seinen Schuhen mit jeder Welle ein bisschen mehr. Wie silbern es glänzte, wenn es zwischen Steinen und Kieseln hindurchschäumte! Wie es jedes Sandkorn einzeln zu umspülen schien …!
In diesem Moment begriff Hiroshi, was es mit der baumartigen Konstruktion auf sich hatte, die ihn so faszinierte.
Natürlich würde er das nachprüfen, die Konstruktion einer entsprechend angepassten Simulation unterwerfen müssen, natürlich. Aber dies war eine jener Hypothesen, von denen man einfach wusste , dass sie sich als richtig erweisen würde.
Letzten Endes war auch das menschliche Gehirn eine materielle Struktur. Gedanken schlugen sich in Form von Hirnströmen nieder, die abfragbar waren, wenn man es fertigbrachte, minimal dünne Implantate neben alle Neuronen zu schieben. Und genau das war es, wozu diese baumartige Konstruktion imstande war: Nervenbahnen zu folgen und Sensoren an ihren Ursprüngen anzubringen.
Die Kopplung zwischen den Naniten und einem Gehirn: So und nur so konnte die perfekte, die endgültige Steuerung dieser nahezu allmächtigen
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