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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wenn ich was Technisches erkläre.«
    Sie verzog das Gesicht; es war kein richtiges Lächeln. »Ich will bloß, dass du mich ein bisschen ablenkst.«
    Er überlegte, befühlte das Taschenmesser, das er immer noch in der Hosentasche trug, dann setzte er sich, zog es heraus und legte es ihr hin. »Stimmt es, dass das meinem Vater gehört hat?«
    Mutter hob mühsam den Kopf, betrachtete das Messer. »Du hast es also.«
    »Du hast es mir mal gegeben.«
    »Ah ja. Richtig.« Sie ließ sich ächzend zurücksinken. »Ja, das hat deinem Vater gehört.«
    »Und wieso hattest du es?«
    »Es war damals, als wir nach Amerika geflogen sind, in einer Hose, die er vergessen hat einzupacken. Oma und Opa haben alles aufbewahrt, und als ich zurückgekommen bin, habe ich es gefunden.« Sie lächelte schmerzlich die Zimmerdecke an. »John hat sich so geärgert. Er hat geglaubt, er hätte es im Taxi verloren.«
    »Erzähl mir von ihm«, verlangte Hiroshi und steckte das Taschenmesser wieder ein. Es war praktisch, mit den verschiedenen Schraubenziehern und so weiter. Das konnte er gut brauchen.
    »Ach je. Was soll ich dir denn da erzählen? Du weißt doch schon alles. Und überhaupt – hatten wir nicht gesagt, dass du mir was erzählen sollst?«
    »Nein«, sagte Hiroshi. »Ich sollte dich bloß ablenken.«
    Seine Mutter bewegte ächzend die Schultern, drehte den Kopf ein wenig hin und her. »Es ist immer das Gleiche. Jedes Mal, wenn es mir schlecht geht, ist Doktor Uchiyama in Urlaub.«
    »Warst du verliebt in ihn?«
    Sie seufzte, musterte Hiroshi. »In deinen Vater? Natürlich. Sehr. Ich war jung und dumm, und er war ein schöner Mann …« Sie hielt inne, blinzelte. Ihre Augen schimmerten auf einmal.
    Und sie begann zu erzählen. Wie er eines Tages im Wohnzimmer ihrer Eltern gestanden hatte, gerade als sie hereinkam. Wie sie ihn von ihrem Fenster aus insgeheim beobachtet hatte, wie er kam und ging. Dass sie sich nicht getraut hatte, mit ihm zu reden, weil sie fürchtete, dass ihr Englisch nicht gut genug sein könnte oder dass sie womöglich sein Japanisch nicht verstünde. Wie er kurz darauf ausgerechnet in dem Reisebüro aufgetaucht war, in dem sie damals arbeitete; einem Büro, das sich auf Reisen nach Australien spezialisiert hatte …
    Wie sie sich das erste Mal geküsst hatten, das erzählte sie nicht.
    »Er wollte unbedingt, dass ich mit nach Amerika komme und seine Eltern kennenlerne«, fuhr sie schließlich fort, nach einer langen Pause, die sich wie ein langer Seufzer angefühlt hatte, obwohl sie ganz still gewesen war. »Ich wollte das eigentlich nicht, aber er hat mich am Ende überredet. Er hatte so etwas an sich, dass man ihm auf die Dauer nichts abschlagen konnte. Ich jedenfalls nicht. Also sind wir geflogen.«
    Es klang, als spreche sie von einer Hinrichtung.
    »Es war alles sehr fremd für mich. Amerika, die endlosen Straßen dort, das viele Land. Und dann das Haus – nein, das Anwesen der Leaks, seiner Familie. Sie waren schrecklich reich, wohnten in einem Gebäude mit hundert Zimmern, Dienstboten, Swimmingpool; hatten Dutzende Autos, Pferde, eine Kegelbahn und ein eigenes Kino im Keller … Das hat mich erst einmal überwältigt.«
    Hiroshi versuchte sich das vorzustellen. So, wie sie es sagte, klang es, als sei dagegen selbst die französische Botschaft klein.
    »Seine Familie empfing uns sehr freundlich – zumindest kam es mir zuerst so vor. Ich kannte bis dahin ja keine Amerikaner außer deinem Vater; mir war nicht klar, dass sie zu allen freundlich sind. In Wirklichkeit waren sie völlig gegen unsere Beziehung, seine Geschwister genauso wie seine Eltern. Johns Großvater hatte noch im Krieg gegen Japan gekämpft. Als ich ihn eines Tages allein antraf, hat er mir erklärt, er hasse Japaner, und ich solle mir nicht einbilden, dass irgendjemand in dem Haus einer Heirat zwischen John und mir zustimmen würde. Wenn John mich trotzdem heiraten würde, würde er enterbt, und da er nichts gelernt habe, mit dem sich Geld verdienen ließe, würden wir verhungern.«
    »Ganz schön gemein«, sagte Hiroshi.
    »Ja, das waren sie. Nach der Begegnung mit dem alten Mann ist mir klar geworden, dass in vielem von dem, was sie sagten und was freundlich klang, in Wirklichkeit Gemeinheiten verstecktwaren. Seltsamerweise war ich aber fast erleichtert, weil ich endlich wusste, warum ich mich so abgewiesen und missachtet fühlte.«
    »Warum seid ihr nicht einfach wieder gegangen?«
    »Das hatten wir vor. Aber John wollte zuerst einen

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