Herr der Daemmerung
schlanke, kalte Junge mit dem aristokratischen Gesicht und den Künstlerhänden. Er hatte dunkelblondes Haar und tief liegende Augen, und in seiner Nähe schien die Luft immer ein paar Grad kälter zu sein. Aber in diesem Moment sah er Jez einfach mit kühler Anerkennung an.
»Ich bin froh, dass wenigstens irgendjemand so dachte«, erwiderte Jez mit einem Blick auf Morgead, der einfach nur herablassend wirkte.
»Yeah, nun, einige Leute sind fast verrückt geworden. Sie haben dich für tot gehalten«, warf Valerian Stillman ein und folgte Jez’ Blick. Val war der Große, Heroische mit dunklem, rostfarbenem Haar, grau gesprenkelten Augen und dem Körperbau eines American-Football-Spielers. Für gewöhnlich lachte er entweder oder brüllte vor Ungeduld. »Morgead hat uns die Straßen zwischen Dale City und der Golden Gate Bridge nach dir absuchen lassen ...«
»Weil ich gehofft hatte, dass ein paar von euch von der Brücke fallen«, sagte Morgead emotionslos. »Aber so viel Glück hatte ich nicht. Und jetzt halt den Mund, Val. Wir haben keine Zeit für diesen Klassentreffenquatsch. Wir haben etwas Wichtiges zu tun.«
Thistles Gesicht leuchtete auf, als sie von Jez zurücktrat. »Du meinst eine Jagd?«
»Er meint die Wilde Macht«, warf Raven ein. Der Blick ihres sichtbaren Auges war auf Jez geheftet. »Das hat er dir bereits erzählt, oder?«
»Ich brauchte ihr nichts zu erzählen«, stellte Morgead fest. »Sie wusste es bereits. Sie ist zurückgekommen, weil Hunter Redfern einen Deal mit uns machen will. Die Wilde Macht gegen einen Platz an seiner Seite nach der Zeitenwende.«
Er erzielte eine Reaktion, von der Jez wusste, dass er sie erwartet hatte. Thistle quietschte vor Freude, Raven lachte heiser, Pierce setzte sein typisches kaltes Lächeln auf und Val brüllte.
»Er weiß, dass wir sie wirklich haben! Er will es sich nicht mit uns verderben«, rief er.
»Ganz richtig, Val. Ich bin mir sicher, dass er in seinen Stiefeln zittert«, sagte Morgead. Er sah Jez an und verdrehte die Augen.
Jez konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war wirklich wie in alten Zeiten: Sie und Morgead tauschten heimlich Blicke über Vals Kopf hinweg aus. Eine seltsame Wärme durchströmte sie - nicht die beängstigende, kribbelnde Hitze, die sie erlebt hatte, als sie mit Morgead allein gewesen war, sondern etwas Simpleres. Das Gefühl, mit Leuten zusammen zu sein, die sie mochten und sie kannten. Ein Gefühl der Zugehörigkeit.
So etwas hatte sie in ihrer menschlichen Schule nie empfunden. Sie hatte Dinge gesehen, die ihre menschlichen Klassenkameraden in den Wahnsinn getrieben hätten. Keiner von ihnen hatte eine Ahnung, wie die reale Welt war - oder wie Jez wirklich war. Aber jetzt war sie umringt von Leuten, die sie verstanden. Und es tat so gut, dass sie diese Empfindung zugleich erschreckte.
Das hatte sie nicht erwartet, dass sie in ihre Gang zurückgleiten würde wie eine Hand in einen Handschuh. Oder dass etwas in ihr sich umschauen und seufzen und sagen würde: »Wir sind zu Hause.«
Denn ich bin nicht zu Hause, ermahnte sie sich streng. Das hier sind nicht meine Leute. Auch sie kennen mich nicht wirklich ...
Aber sie brauchen dich nicht zu kennen, kehrte der kleine Seufzer zurück. Du brauchst ihnen nicht einmal zu verraten, dass du ein Mensch bist. Es gibt keinen Grund, warum sie es herausfinden sollten.
Jez schob den Gedanken beiseite und kämpfte den seufzenden Teil ihres Verstandes entschlossen nieder. Und hoffte, dass er in den Tiefen verborgen bleiben würde.
Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was die anderen sagten.
Thistle sprach mit Morgead und zeigte all ihre kleinen Zähne, während sie lächelte. »Also, wenn du die Bedingungen geklärt hast, bedeutet das, dass wir es jetzt tun werden? Wir werden das kleine Mädchen abholen?«
»Heute? Ja, ich schätze, das könnten wir.« Morgead sah Jez an. »Wir kennen ihren Namen und alles. Sie heißt lona Skelton, und sie wohnt nur einige Häuserblocks von der Stelle entfernt, wo der Brand war. Thistle hat sich bereits mit ihr angefreundet.«
Jez war verblüfft, obwohl sie eine entspannte Miene beibehielt. Sie hatte nicht erwartet, dass die Dinge sich so schnell entwickeln würden. Aber es konnte sich durchaus alles zum Besten fügen, begriff sie, als sie rasch die verschiedenen Möglichkeiten durchging. Wenn sie die Kleine entführen und zu Hugh bringen konnte, würde diese ganze Maskerade bis morgen vorüber sein. Und sie würde es vielleicht
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