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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Vielleicht glaubte er, ich wolle zu Ende bringen, was ich angefangen hatte. Ich kniete neben ihm nieder. »Bist du arg verletzt?« fragte ich.
    »Piloto, du hättest mich beinahe erschlagen!«
    »Es war ein plötzlicher Wahnsinn, der mich überkam. Ich bin zutiefst beschämt. Kannst du aufstehen?«
    »Ja.«
    »Dann komm.«
    Ich half ihm auf. Seine Augen wölbten sich noch vor, und sein Gesicht war sehr rot, und er zitterte, als wären wir in die arktischen Meere vorgedrungen. Selbst jetzt war er meiner nicht sicher und blieb mißtrauisch neben mir stehen, um davonzulaufen, sollte meine derzeitige Freundlichkeit nur das Vorspiel zu einem weiteren Angriff sein.
    Die meisten Männer aus der Mannschaft beobachteten uns noch. Ich drehte mich zu ihnen um und rief: »Fort von hier! Geht wieder an eure Aufgaben!« Zu Cabral sagte ich: »Du hast für diese Stunde das Kommando.« Und zu Oliveira gewandt: »Komm mit in meine Kabine. Ich werde dir mit einem guten Branntwein Erleichterung verschaffen, und wir werden uns unterhalten.«
    »Du hast mich sehr erschreckt, Piloto.«
    »Es war der Wahnsinn«, sagte ich erneut. »Er wird nicht zurückkehren. Komm mit mir.«
    In meiner engen Kabine entkorkte ich den dunklen, rauchigen Branntwein und goß ihm einen guten Schluck und mir auch einen ein; meine Hand zitterte noch immer so heftig, daß ich einen Großteil seiner Portion beim Ausschenken verschüttete und auch einen Teil der meinen, so daß er seinen Branntwein mit einem Schluck herunterstürzen konnte. Wir tranken schweigend, und schließlich sagte ich: »Die Geschichte, die du mir erzählt hast, hat meine Seele tief zerrissen, und einen Augenblick lang war ich verrückt vor Verzweiflung. Ich bedaure sehr, dich angefallen zu haben; ich hoffe, du wirst mir vergeben.«
    Er fuhr sich mit dem Finger über den schweißnassen Kragen. »Ich werde es überleben, Piloto.«
    »Du verstehst, wie es ist, wenn ein Mann schreckliche Nachrichten vernimmt; daß er dann manchmal den anfällt, der ihm am nächsten steht, selbst wenn er völlig unschuldig ist?«
    »Solche Dinge geschehen«, sagte Oliveira.
    Wir tranken unser zweites Glas.
    Dann sah er mich an und sagte: »Darf ich offen sprechen, Piloto?«
    »In der Tat. Sag ruhig alles.«
    »Wir sind keine engen Freunde, wir beide, nur Männer, die zwei- oder dreimal zusammengesegelt sind. Und du bist Engländer und ich Portugiese, so daß wir nur wenig gemeinsam haben. Und doch würde ich nicht gern sehen, daß du Schaden erleidest, denn ich glaube, du bist ein erfahrener Lotse und ein Mann mit gutem Herzen, und überdies…«
    »Komm zur Sache, wenn du willst.«
    »Ich nähere mich der Sache, Piloto. Es ist ganz offensichtlich, daß die Neuigkeiten, die ich dir berichtete, dich mit tiefer Trauer erfüllt haben, und dein tiefempfundenes Mitgefühl verrät viel von deiner Treue zu Don João, der dein besonderer Gönner war, wie ich weiß. Doch nichts destotrotz…«
    »Du mißverstehst es.«
    »Mit Verlaub, gestatte, daß ich ausrede. Ich dränge dich, deine Trauer zu beherrschen und alle Gefühle für Don João beiseite zu stellen; ihn offen zu betrauern, wäre unklug. Dies würde dich als Feind von Don Jeronymo kennzeichnen, und ich weiß fürwahr, daß es einige an Bord dieses Schiffes gibt, die von Don Jeronymo beauftragt wurden, dich genau zu beobachten, ob du dich nicht doch noch auf irgendeine Art als Verräter ihm gegenüber erweist. Jede Verzweiflung über Don Joãos Tod ist gefährlich und unbesonnen.«
    »Ich danke dir für diese Warnung. Doch meine Verzweiflung galt nicht Don João.«
    »Nicht Don João?« sagte er und kniff die Augen zusammen.
    »Wenn du im Geiste den Augenblick nachvollziehen kannst, den ich dich angefallen habe, wirst du wissen, daß du mir gerade gesagt hattest, auch Doña Teresa sei für den Tod ausersehen. Erinnerst du dich daran? Ich bin manchmal langsam darin, Konsequenzen zu überdenken, und hatte zuerst, als ich von dir von der Verschwörung gegen Don João hörte, nicht begriffen, daß sie sich auch auf sie erstreckte.«
    »Ah.«
    »Und als du mir davon erzähltest – nun, etwas brach in mir entzwei, verstehst du?«
    »Dann ist es also wahr«, sagte Oliveira.
    »Was ist wahr?«
    »Daß du Doña Teresas Geliebter warst.« Und indem er dies sagte, duckte er sich zurück, als erwarte er, daß ich ihn wieder ansprang. Doch auch zu meiner Überraschung lachte ich lediglich.
    »Du wußtest davon?«
    Er betrachtete mich verschlagen und, glaube ich, ein wenig

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