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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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fallen.
    In der tiefsten Grube meiner Seele wollte ich nicht an ihren Tod glauben; doch dann schwappten, wie die Flut unausweichlich wieder über die Felsen spülen wird, die hoch und frei gelegt werden, Furcht und Zweifel über diese Ungläubigkeit und durchsetzten sie mit Unsicherheit, und nach der Unsicherheit kam der Schrecken, und das alles in einem Augenblick. Denn selbst der Mächtige und gut Behütete kann von einem entschlossenen Feind aus dem Weg geräumt werden, oder Könige würden niemals Meuchelmördern zum Opfer fallen; und nach meiner ersten Weigerung, ihren Tod hinzunehmen, kam die plötzliche Umkehr, die Qualen des Zweifels, die schreckliche Befürchtung, es könne so sein: Mein Verbündeter Don João sei mir für immer genommen, und Doña Teresa, deren Hexerei sich so tief in mein Herz und meine Lenden geschlichen hatte, würde nie mehr zu mir zurückkehren.
    Oliveira, der nicht wußte, warum ich so bewegt, und nicht erkannte, daß ich schon halbwegs von Sinnen war, sagte auf seine gleiche ruhige Art: »Man würde die beiden den Haien ausliefern. Don João wird Don Jeronymo niemals wieder Unannehmlichkeiten bereiten. Eine Schande, denke ich, denn Don João war ein kluger Mann, und auch ein gerechter, und hätte gut…«
    »Jesus!« brüllte ich und warf mich auf Oliveira, als wäre er persönlich Doña Teresas Mörder. Meine Hände fuhren an seine Kehle und gruben sich tief ein, so daß sich seine Augen aus dem Gesicht wölbten und seine Wangen purpurrot anliefen, und ich schüttelte ihn und schüttelte ihn und schüttelte ihn, daß sein Kopf auf den Schultern schwankte wie bei einer ausgestopften Strohpuppe, mit der die Kinder spielten, und er gab gurgelnde Geräusche von sich, und schlug, schwach wie ein Kleinkind, ohne Auswirkungen, auf mich ein. Während ich ihn würgte, schrie und brüllte ich weiter hin, und beinahe die gesamte Mannschaft des Schiffes kam herbeigelaufen, um zu sehen, was sich zugetragen hatte, und bildete einen Kreis um uns herum; doch zuerst wagte es niemand, in diesen Zwist zwischen dem Kapitän und seinem Stellvertreter einzugreifen.
    Dann legte Pinto Cabral, der ein kluger und bedächtiger Mann war, eine Hand auf meine Schulter und sagte leise ein paar Worte, da er glaubte, ich habe den Verstand verloren; und in diesem Augenblick kam ich wieder so weit zu Sinnen, um Oliveira loszulassen und ihn zurückzuschleudern. Er taumelte über die Brücke und kam in einer Ecke zu liegen, zitternd und nach Luft schnappend und sich die Kehle reibend. Auch ich zitterte; mehr noch, ich bebte, ich krümmte mich wie bei einem Anfall.
    Niemals zuvor hatte ich ein solches Beben der Seele erlebt. Ich krümmte mich gegen die Planken, schlug mit den Knöcheln auf sie ein, während Tränen heiß wie brennende Säure in meinen Bart flossen und auf den Boden tropften. Vor meinem geistigen Auge erschien die schreckliche Vision, wie brutale Rohlinge Doña Teresa des Nachts ergriffen, sie grob und unsanft aus ihrem Schlummer rissen und auch Don João packten, der neben ihr schlief, und sie zur Reling des Schiffes trugen und schnell und leise in die Dunkelheit schleuderten, nachdem sie ihnen zuerst vielleicht noch die Kehlen durchgeschnitten hatten, damit sie nicht um Hilfe rufen konnten; und dann stellte ich mir vor, wie Doña Teresa vom Schlund der See erfaßt wurde, wie Doña Teresa für immer verschwand, wie sie den Haien zum Fraß vorgeworfen wurde – sie, die davon gesprochen hatte, in Lissabon von einem Kardinal vermählt zu werden, sie, die sich gewünscht hatte, Rom und Paris zu sehen, sie, die ihre lieblichen Brüste über meine Schenkel gerieben hatte, um mein Mannestum zu erwecken, einen oder zwei Tage bevor sie an Bord gegangen war, sie, die nun gänzlich von diesem dunklen und kalten und unermeßlichen nassen Leichentuch eingehüllt wurde – nein, nein, nein, es war unvorstellbar! Ich konnte es nicht fassen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich mich dort zusammengekrümmt habe, zitternd und benommen und betäubt, ob es zehn Sekunden oder zehn Minuten waren, doch schließlich wurde ich bis zu einem gewissen Ausmaß Herr über meine Trauer und erhob mich, und mit leiser, knurrender Stimme befahl ich den Matrosen, wieder an ihre Arbeit zu gehen, wobei ich sie mit den Ellbogen zurückdrängte und ihnen nicht in die Augen sah.
    Ich ging zu Oliveira, der sich noch immer die Kehle rieb, an der allmählich die Abdrücke meiner Hände sichtbar wurden. Er betrachtete mich voller Schrecken:

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