Herr der Finsternis
über, und die Jaqqas saßen daneben, und soweit ich es sagen konnte, schliefen sie nicht. Meine Wunde bereitete mir nun großes Ungemach, und ich lag manchmal wach und verlor mich in einer nebelhaften Verwirrung des Geistes, doch jedes Mal, wenn ich die Augen öffnete, sah ich, wie unsere fünf diabolischen Wachen dort saßen, ohne zu schlafen. Dann und wann erhob sich einer von ihnen, schnitt sich ein neues Stück Fleisch ab und briet es. Während der gesamten Nacht hing der scheußliche Geruch verkohlten Fleisches und menschlichen Fettes über unserem Lager; zuerst machte er uns krank, doch dann war er nur noch ein Geruch, den man ohne besondere Aufmerksamkeit hinnahm.
Der Morgen brach an. Die Jaqqas rüttelten uns wach und begruben ihr schwelendes Feuer mit Sand. Wir nahmen unsere Formation ein und marschierten weiter.
Ich erkannte nun, daß eine Flucht einfach unmöglich war. Sie kannten sich in der Wüste zu gut aus und hielten immer ein Auge auf uns, ob nun auf dem Marsch oder im Nachtlager. Und wenn es mir gelänge, mich davonzustehlen, wäre es reine Torheit gewesen, denn dies war ein ungastlicher Ort, und ich wußte nicht, wo sich die Wasserlöcher befanden oder welche Früchte man ohne Gefahr essen konnte. Wenn ich tatsächlich entkommen sollte, würde ich in dieser schrecklichen Wildnis innerhalb von zwei Tagen an meinen eigenen Eingeweiden reißen.
So gab ich den Plan völlig auf. Einige der Portugiesen, mit denen ich marschierte, schätzten die Lage anders ein, und am dritten Tag der Reise brachen zwei plötzlich aus der Linie aus und liefen unbeholfen und taumelnd über die dürre Einöde davon. Sie waren keine zehn Schritte weit gekommen, da hatte einer der Jaqqas den Bogen von der Schulter genommen und einen Pfeil eingelegt, und ich dachte, in einem oder zwei Augenblicken wäre einer der Portugiesen bestimmt tot. Doch der größte der Jaqqas machte eine Handbewegung, und der Schütze senkte den Bogen, und dann machte er eine andere Handbewegung, und zwei seiner Gefährten folgten den Flüchtenden. Noch nie habe ich einen Sterblichen so schnell laufen gesehen. Wenn der Leopard jagt, kann er auf eine kurze Strecke selbst die langbeinige Gazelle einholen; doch ich glaube, diese beiden Jaqqas hätten selbst einen Leoparden hinter sich lassen können. Nach wenigen Augenblicken hatten sie die beiden Portugiesen eingefangen, ergriffen sie, indem sie ihnen einen Arm um den Hals legten, und warfen sie mühelos zu Boden; und dann hoben sie sie nicht einmal grob auf und stellten sie wieder auf die Füße. Die Portugiesen zitterten vor Furcht; sie erwarteten, wegen ihres Ungehorsams auf der Stelle erschlagen zu werden. Doch nein, es geschah ihnen überhaupt nichts; sie wurden lediglich an ihre Plätze zurückgeschickt, und wir marschierten weiter, als wäre nichts geschehen.
Das war der einzige Fluchtversuch, den welche von uns unternahmen.
Doch am fünften Tag unserer Reise nach Norden stellten wir etwas Erstaunliches fest, was uns dazu führte, daß wir uns beglückwünschten, nicht nachdrücklicher versucht zu haben, unseren Häschern zu entkommen. Denn wir erkannten gewisse vertraute Eigenarten der Landschaft, die nur zu einem Schluß führten: Die Jaqqas waren nicht unsere Häscher, sondern unsere Retter, denn sie führten uns in die Richtung von Masanganu!
»Wie kann das sein?« fragte ein Portugiese. »Haben sie das gesamte Gebiet erobert, und befindet sich dort nun ihr Hauptlager?«
»Masanganu ist für sie nicht von Interesse«, sagte ein anderer.
»Wer weiß schon, was für einen Jaqqa von Interesse ist?«
»Gehen wir wirklich in diese Richtung?« fragte ich.
»Sieh doch, Engländer. Dort, jene Reihe von Palmenbäumen am Horizont – was sonst ist dies, wenn nicht der Dschungel am Ufer des Flusses Kwanza? Es gibt hier keine anderen Flüsse, bis auf den Lukala, der von dort oben kommt, und wir sind viel tiefer unten. Und dort, diese Hügel im Osten – das ist Kambambe, das Land der Silberminen!«
»Doch warum bringen sie uns nach Masanganu?« fragte ich verwundert.
»Ja, warum?« erwiderte der portugiesische Medicus.
Und das war die einzige Antwort, die wir jemals bekamen. Ihr wißt, wie es in Träumen ist: daß sich Dinge ereignen, die sich den Anforderungen der Vernunft nicht unterwerfen; und Ihr wißt, daß ich wieder und wieder gesagt habe, daß mir diese Jaqqas vorkamen wie Geschöpfe aus dem nebelverhangenen Land des Schlafes, wie wandelnde Nachtmahre, die auf unsere Welt losgelassen
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