Herr der Finsternis
ruderten wir zur Fregatte hinüber.
Und als wir nordwärts reisten, konnte ich die Jaqqas nicht aus meinem Geist drängen.
Ich war völlig besessen von ihnen. Gewiß waren sie kannibalische Ungetüme und schrecklich; und doch erschienen sie mir auf eine seltsame Art nicht wirklich böse, nicht mehr, als ein Sturm, der mit dem Toben der Vernichtung über das Land zieht, wirklich böse ist. Denn es war keine Boshaftigkeit in ihnen. Sie waren lediglich der personifizierte Hunger auf Beinen. Einen seiner eigenen Art zu erschlagen und zu essen, ist fürwahr ein großes Übel, wie ein jedes Kind weiß. Doch waren die Jaqqas schlimmer als die ausschwärmenden, schlüpfrigen Portugiesen, die diese Küste übernommen und eine ganze Rasse in die Sklaverei gezwungen hatten und einander betrogen und alle möglichen düsteren Verrate schmiedeten, derweil sie frömmig jeden Tag zur Messe gingen? Ich kam zu dem Schluß, daß in diesem Lande Afrika ein jeder Mensch in der einen oder anderen Hinsicht ein Ungetüm war. Und ich glaube, ich zog diese wilden Jaqqas, die sich keinen Anschein von Frömmigkeit gaben, dem scheinheiligen Volk vor, das vorgab, zivilisiert zu sein, aber unter der dünnen Schale genauso aus rohen Wilden bestand.
Der Imbe-Jaqqa verfolgte mich noch auf andere Art. Ich weiß, daß es auf dieser Erdkugel gewisse große Männer gibt: Drake ist einer und Raleigh, und auch Elisabeth muß als großer Mann erachtet werden, denn sie hatte die Rolle eines Mannes angenommen und übte sie prachtvoll aus. Und auch Julius Caesar und Alexander und dergleichen – Führer, Herrscher. Ich selbst habe einen sehr kleinen Teil von dem, was sie ausgemacht hat: Ich bin zwar kein Herzog oder ihnen vergleichbar, doch ich habe beobachtet, daß man sich in einer jeden Menschengruppe über kurz oder lang wie auf ganz natürliche Art und Weise an mich als Führer wendet, obwohl ich diese Führerschaft nicht suche. Hätte ich sie jemals gesucht oder wäre ich von einer solch edlen Abstammung, daß man diese Macht zugesprochen bekommt, ohne sie erst suchen zu müssen, dann hätte ich in der Tat zu einer herausragenden Persönlichkeit werden und gewaltige Taten vollbringen können, und dies sage ich nicht prahlerisch, sondern als ganz ruhige Einschätzung. Doch ich habe nur einen kleinen Teil davon. Ich wäre kein Kaiser gewesen. Doch dieser Calandola, dachte ich sofort, hatte das Zeug zur Erhabenheit: Wie der große Dschingis der Tartaren, wie der Hunnenkönig Attila, die vor langer Zeit Europa verwüstet hatten, wie der Assyrer Sanherib von düsterer Reputation, konnte auch er die Seelen der Menschen für sich einnehmen und sie dazu bringen, ihm zu folgen, wohin auch immer er wollte. Bei dieser ersten Begegnung hatte er mich schon für sich eingenommen, was ich allerdings kaum verstand. Denn es war viel an ihm, was verabscheuungswürdig und abstoßend war, und doch zog er mich an.
Versteht Ihr dies? Könnt Ihr dies begreifen? Es war der Sog des Coccodrillos, der Sog der Finsternis, des verborgenen, kalten, satanischen Stroms, der durch die Tiefen der Seele fließt und jedes Gewissen, jeden Glauben unterspült. Ich sah Imbe Calandola in meinen Träumen als einen Riesen, der den halben Himmel ausfüllt. Seine Berührung lag auf mir. Er tönte wie ein großer Gong in meinem Schädel, der läutete, läutete und mir keinen Frieden gab. Und ich verstand weder, welche Macht er über mich ausübte, noch, daß ich dazu bestimmt war, mich ihr zu unterwerfen. Doch er füllte den halben Himmel aus; erschallte in meinem Schädel wie ein Gong.
7
Die Jaqqas ließen sich in diesem Land Benguela nieder und zogen ihren Nutzen daraus. Und wir hatten einen großen Handel mit ihnen, fünf Monate lang, und verdienten gewaltig an ihnen. Zuerst brachten wir unsere Sklavenladung nach São Paulo de Luanda und verkauften sie dort, wobei der Gouverneur und die anderen Beamten ihren beträchtlichen Anteil daraus zogen, uns jedoch noch soviel Profit ließen, daß wir alle reich daran wurden; ich wurde mit Tausenden von Reis bedacht, genug Geld, um mir in England einen großen Hof zu kaufen, wenn ich nur in England wäre.
Wir blieben eine Weile in der Stadt, und mit meinem neuen Reichtum erwarb ich gute Mäntel und andere hübsche Dinge für Matamba. Ich sprach mit ihr über die Dinge, die mir zugestoßen waren, und sagte ihr, daß ich Imbe Calandola gesehen hatte. Woraufhin sie vor mir zurückwich und zu wimmern begann, als fürchte sie, irgendeine Ansteckung des
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