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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Körperbau in ihre Reihen aufnahmen. Doch ihre Größe und Stärke beeindruckte mich zutiefst, wie schon von Anfang an, als ich vor langer Zeit gesehen hatte, wie ein Jaqqa von der Größe Kinguris allein und geheimnisvoll am Ufer des Flusses Kwanza stand.
    Und erneut bedeutete Calandola uns zu essen, mit lauten Worten, die in etwa bedeuten mußten: »Ihr seid unsere Gäste! Eßt, eßt, eßt!«
    Was wir aber nicht taten.
    Aus der Ferne beobachtete ich jedoch das Fest. Und nach einer Weile geschah etwas sehr Seltsames mit mir, was Ihr vielleicht nur schwer verstehen könnt: nämlich, daß ich mit der Zeit nicht mehr erstaunt oder abgestoßen war und das Fest als ein ganz gewöhnliches Ereignis betrachtete. Was? sagt Ihr. Wurde ich etwa zu einem Ungetüm wie diese Kannibalen? Ich glaube nicht. Ich glaube, eine Art Weisheit drang in mich ein, die daher rührte, daß ich zuvor schon mehrere solcher Kannibalenfeste gesehen hatte, das erste davon während meiner Zeit in Brasilien, unter den Taymayas, den wilden Indianern.
    Und diese Weisheit sagte: Wir essen Vieh, und wir essen Schafe, und wir essen Geflügel, und wir denken uns nichts Schlechtes dabei. Und diese Leute essen Menschen, und sie denken sich nichts Schlechtes dabei, und wir sind doch alle Gottes Geschöpfe, oder etwa nicht?
    Ich meine damit lediglich, daß es auf dieser gewaltigen Welt unterschiedliche Bräuche gibt, und was der einen Rasse als fremdartig oder verabscheuungswürdig erscheint, ist bei der anderen vielleicht ganz normal. Sind wir zum Beispiel auf einen Franzosen wütend, weil er kein Englisch spricht und wir sein Palaver nicht verstehen? Doch er ist Franzose; Französisch ist die ihm gebräuchliche Sprache. Und Menschenfleisch ist die gebräuchliche Nahrung der Taymayas und der Jaqqas und der anderen dieser Menschenfresser. Und ich glaube, es geziemt sich nicht, sie deshalb von vornherein zu verdammen.
    Vielleicht, sagt Ihr, habe ich zu lange unter Kannibalen geweilt, und meine Seele wurde durch ihre Gebräuche verdorben. Vielleicht; doch ich bin nicht dieser Ansicht. Ich glaube nur, weil ich so lange an den äußersten Grenzen der Welt gelebt habe, habe ich ein breiteres Verständnis für ihre Mannigfaltigkeit gewonnen. Ich wage zu behaupten, daß es irgendwo auf dieser Erdkugel eine Rasse gibt, die nicht nur für Menschenfleisch schwärmt, sondern sich auch bei dem Gedanken, Rind oder Geflügel zu essen, übergeben würde, da sie der Meinung ist, solches sei unnatürlich und böse.
    Als wir nach dem Festmahl alle gesättigt waren, teilten wir die Beute. Die Jaqqas wählten unter den Gefangenen gewisse Knaben und Mädchen aus, denen allmählich die ersten Schamhaare sprossen, und nahmen sie damit in ihren Stamm auf. Es waren zwölf oder fünfzehn an der Zahl, die ganz benommen dreinschauten und nicht wußten, wie ihnen geschah. Die Knaben bekamen Sklavenhalsbänder umgelegt, wie es bei allen jungen Jaqqas geschieht, bis sie im Kampf einen Gegner getötet haben. Die anderen Benguelas wurden uns als Sklaven überlassen, als unser Entgelt, die Jaqqas über den Fluß gebracht zu haben. Diese verfrachteten wir mit dem Wissen, daß wir ein Vermögen gemacht hatten, auf unser Schiff: denn wir hatten viele starke und gesunde Seelen, die wir in São Paulo de Luanda für zwölftausend Reis pro Kopf verkaufen konnten, und sie hatten uns nichts gekostet, nicht einmal eine Handvoll Glasperlen.
    Dann machten wir uns bereit zum Aufbruch. Zu guter Letzt kamen die hohen Jaqqas zu uns, Calandola und Kinguri und einige andere, und sie schritten am Ufer auf und ab und betrachteten unser Schiff; wahrscheinlich, so vermute ich, hielten sie es für ein Wunderwerk. Und der Imbe-Jaqqa berührte erneut mein Haar und ließ einige Bemerkungen darüber fallen.
    Nun bekam ich allmählich eine Vorstellung darüber, weshalb uns diese Jaqqas, die uns damals in der Wüste gefunden hatten, verschont und nach Masanganu geleitet hatten. Es war meines Haares willen geschehen; denn sie hatten noch nie solch ein Haar gesehen und hielten mich in irgendeiner Hinsicht für gottähnlich. Und Calandola zeigte solch eine Faszination über mein Haar, daß ich mich unbehaglich fühlte und befürchtete, er würde mich nicht mit meinen Gefährten davonsegeln lassen, was Pinto Dourado höchstwahrscheinlich gelassen hinnehmen würde, oder er würde mich gehen lassen, mich jedoch bitten, mein Haar zurückzulassen. Doch der Imbe-Jaqqa begnügte sich damit, es ein paarmal zu berühren. Und dann

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