Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
ich habe schon ein wenig Weisheit.«
    »Nicht die geringste! Nicht die geringste!«
    In seinen Augen war ein loderndes Feuer, und vor seinen Lippen stand Schaum. Mein Gehirn stand ebenfalls in Flammen, und auf meiner Zunge lagen zahlreiche Ausführungen, warum es nicht richtig sei, so mit seinen Kindern zu verfahren, wie die Jaqqas es taten. Doch ich hielt mich im Zaum und sagte nichts. Ich wollte seine Liebe nicht vollends verlieren und ihn mir zum Feinde machen. Wir waren in diesem Gespräch an unseren Grenzen angelangt, und sollte ich diese überschreiten, würde ich einen nicht wieder zu heilenden Bruch reißen.
    »Ich will dich nicht bedrängen«, sagte ich.
    »Das tust du besser auch nicht.«
    Er war noch immer erzürnt. Und ich war noch fiebrig von der Hitze meiner Überzeugungen; doch ich gab nach und sagte nichts mehr, und nach einer Weile beruhigten wir uns wieder und erneuerten unsere Freundschaft.
    Nie wieder sprach ich dieses Thema an, nicht einmal, um zu hören, welche geheimnisvollen Tiefgründigkeiten er vorbringen konnte, um das Gemetzel an Kindern zu rechtfertigen. In seine Seele zu blicken war wie ein starker Arzneitrank für mich, so befremdlich und unverständlich waren seine Gedanken. Vielleicht war in diesen Dingen sowieso keine Tiefgründigkeit auszumachen, sondern bloße Blutlust. Doch ich ermahnte mich, daß es ein Fehler wäre, diesen Menschen als Philosophen zu betrachten, mit dem ich unbeschränkten Gedankenaustausch betreiben konnte. Ich durfte nicht vergessen, was er war: ein Wilder, ein Kannibale, ein Mörder.
    Kinguri erzählte mir, daß der erste der Jaqqakönige ein Häuptling mit seinem Namen gewesen sei, Kinguri, der, nachdem er gen Süden gezogen war, aus einem der örtlichen Stämme eine Frau namens Kulachinga geheiratet hatte. Nach ihm kamen Imbe-Jaqqas, die die Namen Kasanje und Kalunge und Ngonga trugen, alle aus der gleichen ursprünglichen Jaqqa-Familie des ersten Kinguri. Sie herrschten über die Mischung aus vielen Stämmen, die das Jaqqa-Volk bildete. Einige der Jaqqa-Monarchen nahmen freundliche Beziehungen zu den Portugiesen des Kongos und von Angola auf und verbündeten sich in einzelnen Schlachten mit ihnen, wofür sie als Gegenleistung deren Territorien unbehindert durchqueren konnten. Doch diese Bündnisse kamen und gingen wie die schattenhaften Ereignisse eines Traumes, und die Portugiesen wußten niemals, ob die Jaqqas ihre Freunde oder ihre Todfeinde waren, was auch dem entsprach, wie die Jaqqas es haben wollten.
    Der Imbe-Jaqqa, der direkt vor Calandola geherrscht hatte, hatte den Namen Elembe getragen, und er war es gewesen, der den Kongo mit jenen Verwüstungen überzog, bei denen so viele Portugiesen und Kongobewohner das Leben verloren hatten. Calandola war ein Edelknabe { * } dieses Elembe gewesen, und vielleicht auch sein Sohn, denn ich glaube, daß die Imbe-Jaqqas einige ihrer eigenen Nachkommen vor der allgemeinen Tötungsregel bewahren. Ich glaube, irgendwann hat Calandola Elembe gestürzt. Doch dies war wieder eine Sache, die gefährlich zu erkunden war, und als ich fühlte, daß sich Kinguri bei diesem Thema zurückzog und verschwiegen wurde, bohrte ich nicht nach. Doch gewiß war Calandola in den letzten Jahren alleiniger Herr der Jaqqas.
    Sie haben keine Feitissos oder Idole. Diesen Brauch über lassen sie anderen Stämmen. Sie haben zwar Götter – gibt es ein Volk auf Erden, das keine hat? –, fertigen jedoch keine Bilder von ihnen an.
    Soweit ich weiß, haben sie zwei Götter, doch ich kann Euch ihre Namen nicht nennen, wenn sie überhaupt Namen haben. Den einen bezeichnen sie als ›die Mutter‹, womit sie die Erde selbst meinen, unsere Weltenkugel; sie halten sie heilig und verabscheuen jede Entweihung ihrer Ganzheit, wie etwa den Berg- oder sogar den Ackerbau.
    Daher kommt es, daß sie die Erde nicht pflügen wollen, und wenn man die Erde nicht pflügt, ist es fürwahr schwer, Getreide zu ernten, selbst in diesem überaus fruchtbaren Land Afrika. (Ich glaube auch, daß die Jaqqas das Pflügen verabscheuen, weil sie den Ackerbau als Arbeit betrachten, die man niederen Stämmen und Sklaven überläßt; das heißt, es ist eher Stolz denn Frömmigkeit, der sie dazu treibt, die Erzeugnisse anderer zu rauben und selbst keine hervorzubringen.) Die einzige Verletzung der Mutter Erde, die sie hin nehmen, besteht aus dem Graben von Löchern bei Begräbnissen. Doch dies sehen sie nicht als eine Entweihung der Mutter an, sondern eher als Rückgabe

Weitere Kostenlose Bücher