Herr der Finsternis
Vögel wurden Njili Mokisso genannt, das heißt, die Vögel des Satans oder Idols, und galten als heilig. Auf dem Grab des Fürsten lagen viel Kupfer, viele Stoffe und andere Dinge, was in diesem Land üblich ist.
Auf Befehl des Imbe Calandola rührten wir keinen der Njili Mokisso- Vögel an, noch berührten wir die Güter auf dem Grab des alten Königs. Dies erinnerte mich an einen anderen Vorfall vor geraumer Zeit, als ein Portugiese nicht gezögert hatte, die Toten zu berauben. Die Jaqqas zeigten mehr Respekt vor dem Toten oder vielleicht auch nur mehr Angst vor seinem Mokisso.
Die Stadt selbst vernichteten wir völlig, und von den wilden Pfauen fingen wir viele; ihre Schwanzfedern steckten wir uns als Zierde an.
Bei dem Fest, das gefeiert wurde, um die Verwüstung Shillambansas zu feiern, floß der Palmwein reichlich, und wir tanzten und aßen und vergnügten uns sehr. Es hatte den Anschein, als läge die Zeit der Gottesurteile weit hinter uns. Ich sagte zu Kinguri: »Nun herrscht Friede unter den Jaqqas. Es hat den Anschein, daß dafür nur ein guter Krieg nötig war; ist dem nicht so?«
»Ah«, sagte er, »der Krieg ist uns immer eine Freude. Doch ich fürchte, daß es noch mehr Schwierigkeiten geben wird.«
»Und mehr Gottesurteile?«
»Und mehr Gottesurteile. Immer mehr Gottesurteile.«
»Sie sind mir so fremd, unterscheiden sich so gewaltig von unseren englischen Bräuchen.«
»Und wie sehen die aus?« fragte Kinguri.
»Nun, der Angeklagte wird vor einen Richter und vor Geschworene gebracht, die man aus der gesamten Bevölkerung ausgesucht hat, und sie hören die Beweise und stimmen darüber ab, was rechtens und unrecht war.«
Dies verblüffte ihn. »Nun, dann darf jeder solch ein Geschworener sein?«
»Jeder, der sich als würdig erwiesen hat. Das heißt, er muß ein Mann sein und weder von niedriger Geburt noch unehelich. Doch zumeist trägt man uns auf, als Geschworener zu dienen, die Geschichte zu vernehmen und abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen.«
»Doch wie kann sich der König dann des Ergebnisses sicher sein?« Ich begriff nicht, was er meinte. »Das kann er nicht«, sagte ich, »Zuerst muß man untersuchen, was vorgefallen ist, die Aussagen von Zeugen hören und so weiter, und dann muß man Recht und Unrecht abwägen.«
Kinguri schüttelte den Kopf. Er war offensichtlich erstaunt. »Das ist nicht unsere Art«, sagte er. »Es ist Wahnsinn. Es kann keine Herrschaft geben, wenn die Gerechtigkeit dem Zufall überlassen bleibt.«
»Nicht dem Zufall, sondern Untersuchungen.«
»Das ist das gleiche«, sagte er. »Denn der König hat bei dem, was dabei herauskommt, keine Stimme, und wenn er sein Volk nicht beherrschen kann, ist er nicht König.«
Obwohl ich schon tief in den Becher geschaut hatte, versuchte ich Kinguri mehrmals zu erklären, wie Gerechtigkeit aus den Fakten des Falles und nicht aus den Wünschen des Königs entsteht. Doch je nachdrücklicher ich es darstellte, desto seltsamer erschien es Kinguri. Und als er schließlich selbst tief in den Becher geschaut hatte, verriet er mir ein paar Wahrheiten darüber, wie die Gottesurteile der Jaqqas funktionierten, und machte mir sehr vieles klar, das mir zuvor verborgen geblieben war. Denn ich war so töricht gewesen, wirklich zu glauben, es sei Hexerei darin verwickelt – denn wenn es überhaupt einen Ort gab, wo Hexerei gedeihen konnte, dann unter diesen Jaqqas –, doch wie ich zum Teil schon vermutet hatte, lag diesen Gottesurteilen etwas viel Gewöhnlicheres zugrunde.
Nicht der Gerechtigkeit wurde mit diesen Urteilen Genüge getan, sagte er, sondern dem allumfassenden Willen des Calandola, der das Schicksal der gesamten Jaqqa-Nation bestimmte. Bei allgemeinen Gottesurteilen, die über die Treue zu ihm Auskunft geben, werden die, bei denen er Untreue argwöhnt, von Calandola benannt; und die Medizinmänner, so erklärte Kinguri mir, bekommen den Auftrag, diese Männer zu entlarven. Und dies geschieht mit einer kleinen Handbewegung, mit der das Beil näher an die Haut des Opfers gerückt wird und länger dort verbleibt als bei den anderen, so daß allein er sich Verbrennungen zuzieht, obwohl es den Anschein hat, daß alle gleich behandelt wer den. So wird die Gerechtigkeit durch den Imbe-Jaqqa, der vorgibt, göttlicher Wille habe gesprochen, wo nur seine eigenen Pläne verwirklicht werden, zu einem Mittel der Politik.
»Und das Gottesurteil mit den Muscheln«, sagte ich. »Wird bei dem auch eine besondere Gaunerei
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