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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Jaqqa-Diener hoben mittlerweile Doña Teresas Leiche auf und trugen sie zu dem Kessel, und sie schafften auch ihren Kopf fort, wohl, um ihn zu bestatten und zu verhindern, daß ihr Mokisso ihre Seelen heimsuchte oder ihr Zumbi ihren Schlaf störte. Alledem schenkte ich nur wenig Beachtung. Denn ich brütete düster über ihren Tod nach, der mich so hart getroffen hatte. Und ich erinnerte mich an ihre Ambitionen, ihre Träume von Ruhm und Gier auf einen hohen Rang und all diese anderen Wesensarten von ihr, die nun auf nichts reduziert waren, da sie jetzt nur noch totes Fleisch war, und dies bereitete mir eine tiefe Trauer, die Ungerechtigkeit ihres Todes und die Ungerechtigkeit eines jeden Todes überhaupt.
    Doch als der Wein mich endlich erreichte, und mein Leid umhüllte, nahm ich ihren Tod schon eher hin. Denn welche Rolle spielte es schon, daß Doña Teresa jetzt und nicht später gestorben war, da doch vorbestimmt war, daß sie eines Tages sowieso sterben mußte? Ich erinnerte mich an die Worte eines der weisesten Männer, die jemals gelebt hatten, des Kaisers Marcus Aurelius, dessen Meditationsbuch ich als Junge gelesen hatte, und seine Worte trieben nun wieder durch meine Seele: »Handle nicht, als lebtest du zehntausend Jahre. Der Tod schwebt über dir.«
    Aye! Und wo ist Marcus heute? Und wo sind all die, die vor hundert Jahren neben Heinrich Tudor auf dem Bosworth Field gestanden haben, so stolz, wie sie damals waren, die Nation vom buckligen König Richard zurückzugewinnen! Warum quälte ich mich nun also über den Tod einer Frau oder fürchtete, ich selbst könne sterben, wo unser aller Leben doch wie das eines Schmetterlings war? Alles hat nur einen Tag Bestand.
    Diese Gedanken verschafften mir etwas Erleichterung, und auch der Wein. Doch ich saß verdrossen da, während die um mich herum wild und ausgelassen waren. Soweit ich schauen konnte, sah ich feiernde Jaqqas, die alle schwer getrunken hatten, ihre Frauen umarmten und mit ihnen auf der nackten, warmen Erde kopulierten. Sklaven gingen unter ihnen umher, brachten ihnen Fleischscheiben von dem geschlachteten Vieh, alle möglichen Arten von Früchten und andere Leckerbissen.
    Und dann kam der monströse Augenblick, da das Bankett seinen Höhepunkt erreichte und Doña Teresas Fleisch fertig gegart war und sie dieses überaus schreckliche Gericht zum Hohetisch der Jaqqas brachten, auf daß sich die Jaqqa-Fürsten daran laben konnten.
    Kinguri erhob sich, bedachte mich mit einem kalten, wilden Lächeln, wandte sich an seinen Bruder und verkündete laut: »O Imbe-Jaqqa, da diese Frau Andubatils Weib war, ist es nur gerecht, daß du ihm das Vorrecht der Wahl des Fleisches läßt, obwohl es dein Recht ist, die erste Wahl zu treffen.«
    Calandola schaute verblüfft drein, denn dies hatte er nicht erwartet, und ich nehme an, er war sich nicht sicher, ob Kinguri ihm damit irgendeinen Schaden zufügen wollte. Doch dann dachte er darüber nach und kam zum Schluß, daß ihm diese Bitte angemessen erschien.
    Er wandte sich mir zu. »Aye«, erklärte er, »das ist angemessen. Ich gewähre dir die Portion des Imbe-Jaqqa, o Andubatil!«
    Ich starrte ihn erstaunt an. »Das ist doch nicht dein Ernst, o Herr!«
    »Es ist mir eine große Ehre.«
    »Nay«, sagte ich tief in meiner Kehle. »Ich werde nicht davon essen!«
    Doch dies erzürnte den Imbe-Jaqqa, denn er war weder Widerspruch gewohnt noch daß Kinguri ihm sagte, wie er sich verhalten solle, und all dies hatte ihn durcheinandergebracht. Seine Augen wurden wütend, seine dicken Adern standen am Hals hoch hervor, und er rief: »Iß und nimm sie in dich auf!«
    »Ich bitte dich, Fürst Imbe-Jaqqa…«
    »Ich befehle es dir, Andubatil!«
    Woraufhin Kinguri sagte: »Willst du dich dem Befehl des Imbe-Jaqqa widersetzen?«
    »Gib nach, Bruder«, antwortete ich ihm. »Ich will an diesem Fest nicht teilhaben.«
    »Ah, wir hätten dich sofort erschlagen sollen«, sagte er. »Anstatt dir zugetan zu sein, dich in Ehren zu halten und vorzutäuschen, daß du einer von uns bist. Ein weißer Jaqqa! Welcher Wahnsinn! Du bist der Anlaß und die Wurzel all unseres Leids! Nimm und iß!«
    Und Kinguri ergriff ein breites grünes Blatt eines Dschungelbaums, das so groß wie ein Teller war, und hielt es mir vors Gesicht, und darauf lag ein dampfendes Stück Fleisch, ein Stück, das… nay, ich werde es nicht beschreiben, mein Verstand lehnt sich auf, und sogar mein Magen hebt sich…
    Doch dieses schreckliche Fleisch bot mir der Bruder

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