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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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vielleicht der beste seiner gesamten Rasse, doch selbst er würde wegen ein paar Tropfen auf seinem Ärmel einem anderen Geschöpf schreckliches Leid zu fügen.
    Es war eine nützliche Lektion für mich über die Verschlungenheit der menschlichen Natur – nicht, daß ich ihrer wirklich bedurft hätte.
    Doch vielleicht ist dies eine Lektion über die Einfachheit der menschlichen Natur, namentlich meiner eigenen, der ich doch bei einem Portugiesen eine vollständige Güte erwartet hatte. Der unglückliche Sklave konnte sich zumindest glücklich schätzen, daß er nicht einem Spanier gedient hatte; denn dann hätte sein Herr ihm wegen dieser Flecken vielleicht die Haut abgezogen.
10
    Und dann ergriff ich das ehrbare und gehobene Gewerbe des Lotsen auf einem Schiff, das die Meere befuhr, den höchsten aller maritimen Berufe, den mein Vater in seinen zwölf Jahren beim Trinity House erlernt und auch mein verstorbener Bruder Thomas ausgeübt hatte. Es erniedrigte mich, ihren Fußstapfen zu folgen, ohne eine lange und anstrengende Zeit über eine Lizenz erworben zu haben, und es erschien mir überaus ironisch, daß ich meine Lotsentätigkeit für die Portugiesen und nicht die Königin ausübte.
    Doch ich hatte keine Angst, dieses Gewerbe schlecht auszuüben und Schande über die Battells aller vergangenen und zukünftigen Zeiten zu bringen. Don João hatte es selbst gesagt: Ich bin klug und lerne schnell, muß ich sagen, auch wenn es sich unbescheiden anhört. Und ich war auch kein Neuling auf See.
    Was ist sie, diese Lotsenkunst, die ich so hoch schätze?
    Sie ist nichts weniger als das Herz der Navigation: die Kunst, Schiffe von einem Ort zum anderen zu führen, wenn Land oder Navigationszeichen in Sicht sind.
    Mir liegt es fern, verächtlich auf die Wissenschaft der Navigation auf offener See hinabzublicken – und doch, gebe ich zu bedenken, was ist die große Navigation, sobald man einmal auf offener See ist, wenn nicht, Tag um Tag die gleiche Aufgabe zu erledigen, nämlich den Wind im Rücken und das Deck über Wasser zu halten und dafür zu sorgen, daß man dem Sonnenuntergang entgegensegelt, wenn man gen Westen fährt, und umgekehrt, wenn man anders herum fährt? Wohingegen der Lotse – ah, der Lotse sich mit tausend und abertausend Gefahren abgeben und sich jeder Wissenschaft bedienen muß, um einen Schiffbruch zu vermeiden; seine Aufgabe ist in jedem Augenblick voller Kniffligkeit.
    Bedenkt, der Lotse hat nicht ständig Land in Sicht. Der besonnene Seemann entscheidet sich nicht oft dazu, nah am Ufer zu fahren – dort gibt es zu viele Gefahren und Geheimnisse –, sondern wählt lieber tiefere Gewässer hinter dem, was wir die Kenning nennen, was die Entfernung ist, bei der die Küste vom Masttopp aus sichtbar ist. Doch es ist die Pflicht des Lotsen, oft genug Landzungen und -spitzen zu sichten, um der Position seines Schiffes sicher zu sein. Wo das Terrain gut bekannt ist, hat er seinen Steuermann oder Portolano, der ihm die Stellen nennt, auf die er achten muß; sein Kartenbuch, das von Generationen seiner Vorgänger erstellt wurde und jedes Vorgebirge, jede Insel, jeden Baumstumpf oder Flecken verzeichnet, der ihm eine Landmarke sein könnte. Und wenn er eine unbekannte Küste entlangsegelt, muß er seinen Verstand benutzen, um die Landmarken zu erkennen, und wenn keine Landmarken zur Hand sind, seine Instrumente.
    So ertasten wir uns den Weg mit Kompaß und Lot, mit Kreuzstab und Quadrant, mit Astrolabium und Senkblei. Wir versuchen, uns niemals gefährlich nahe ans Ufer zu begeben und niemals gefährlich weit aufs Meer hinaus. Wir müssen die Winde und die Sterne und die Botschaften der Wolken kennen.
    Da ist noch mehr. Es kommt während der Reise eine Zeit, da ein Landgang gemacht werden muß; und dabei gibt es neuen Tumult, denn der Lotse muß sich mit Untiefen und Riffen, mit Gezeiten, plötzlichen Boren und Strömungen befassen. Der Mond beherrscht die Gezeiten, und der Lotse muß nach dem Mond und seinen Phasen leben oder das Risiko eingehen, das Schiff auf Land zu setzen und sich ins Land der Einfaltspinsel zu begeben. So war es eine beträchtliche Aufgabe, die Don João mir anbot, die doppelt erschwert wurde, da ich noch nie diese afrikanischen Gewässer gesehen hatte – ein unerfahrener Lotse, der sich den Weg durch unbekannte Meere blufft – und dreifach, da meine Gefährten eine Mannschaft von Portugiesen waren, die keinen Grund hatte, mich zu mögen oder zu achten oder mich in jene Kenntnisse

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