Herr der Finsternis
von England meine Tugend in mehreren Jahren der Keuschheit zu bewahren, hatte sie meine schlummernden Gelüste neu geweckt, und es war nicht einfach, sie wieder zu einer disziplinierten Muße zu zwingen. So stellte ich mir nachts manchmal vor, ihre seidenglatten Brüste lägen in meinen Händen und sie hätte die Schenkel eng um meine Hüften geschlossen, und ich spielte im Geiste solche Phantasien mit ihr, wie ich es zuvor mit Anne Katherine getan hatte. Anne Katherine hingegen, fürchte ich, wurde zu dieser Zeit allmählich nur zu einem Schatten in meinem Gedächtnis, da mittlerweile vier Jahre und einige Monate vergangen waren, seit ich England verlassen hatte, und mir mein gesamtes vorheriges Leben bleich und unwirklich erschien wie etwas, das ich einmal in einem Buch gelesen hatte. Das helle Sonnenlicht Afrikas überstrahlte in mir den schwachen, bleichen Glanz Englands. Afrika war nun zu meiner eigenen Wirklichkeit geworden. Ich sagte Euch ja, ich habe die Fähigkeit, mich anzupassen.
So träumte ich von Doña Teresas brauner Nacktheit und verschlang die scharfen Eintöpfe und Breie Loangos und durchstreifte die Stadt, um mehr über das Leben dort zu erfahren, ein wenig von ihrer Sprache zu lernen und ihre Gebräuche kennenzulernen.
Ich fand ein weiteres Mokisso-Haus am Hafen, in dem eine alte Frau namens Nganga Gomberi wohnte, was »Die Priesterin des Geistes Gomberi« bedeutet.
Die Schwarzen erzählten mir, daß einmal im Jahr dort ein Fest abgehalten wird und Nganga Gomberi aus dem Erdboden heraus sprach und Orakel gab. Ich bat darum, diese alte Hexe sehen zu dürfen, in der Hoffnung, sie würde mir ein Horoskop erstellen, das meine Rückkehr nach England voraussagen würde, doch man wollte mich nicht zu ihr vorlassen.
Ich sah ein noch seltsameres Ding, nämlich einen weißen Neger, so weiß wie ein jeder weiße Mann, doch mit gelocktem Haar und dicken Lippen und einer flachen Nase; Dies war auf dem Marktplatz, als ich ein lautes Gemurmel und Stimmengewirr hörte, und dort kam er, wobei die Menge auf beiden Seiten vor ihm zurückwich. Oliveira war bei mir, und er sagte: »Schau! Habt acht! Dies ist ein heiliger Mann!«
»Bei Gott, wer ist das?«
»Er wird Ndundu genannt, der, der weiß geboren wird und diese Farbe sein ganzes Leben lang behält. Sie werden immer erzogen, Hexer zu werden, und dienen dem König mit ihrer Hexerei. Er hat vier von ihnen, heißt es, und niemand wagt es, sich mit ihnen abzugeben.«
Und fürwahr, dieser Ndundu ging über den Markt und nahm diese und jene Lebensmittel, biß hier und da in eine Frucht und warf sie weg, und dabei konnte er tun und lassen, wie es ihm beliebte. Er näherte sich mir bis auf fünf Ellen und blieb stehen, um mich zu mustern, denn mit meinem blonden Haar war ich ein genauso seltsamer Anblick für ihn, wie er einer für mich war. Unsere Augen trafen sich, und seine waren rot, rot, wo meine blau waren, die roten Augen eines Dämons aus der Hölle, wie ich sie noch nie gesehen habe.
Er bedachte mich mit gewissen heiligen Gesten, die wie das Zucken eines Irrsinnigen anmuteten, wobei er heftig die Arme schwenkte und die Finger krümmte. Und mit einer zischenden Stimme, einem bösen Krächzen, sagte er: »Jaqqa-Ndundu! Ndundu-Jaqqa!«, was so viel wie ›weißer Jaqqa‹ bedeutete, und selbst ich verstand, wenngleich ich nicht die Bedeutung dieser Anrede ergründen konnte. Und er sagte noch andere Dinge, die genauso geheimnisvoll waren und mich zutiefst verwirrten. Wir musterten einander lange, und dann sah ich zur Seite, nicht imstande, diesem diabolischen Blick länger standzuhalten; und ich verspürte selbst in dieser drückenden Hitze ein Frösteln, als hätten sich die Tore des Infernos vor mir geöffnet und einen eisigen Windstoß des Satans freigegeben. Weißer Jaqqa! Was für ein Wahnsinn war dies? Ach, ich sollte es noch erfahren, doch wie konnte ich dies in diesem Augenblick wissen?
Während wir derart in Loango festsaßen, kam es zu drei besonderen Wundern, das heißt, Dingen, die selbst für das Volk von Loango außergewöhnlich waren.
Das erste war ein Wunder des Königs. Die Regenzeit war angebrochen, doch es war schon seit einigen Wochen trocken, und das Volk litt, da die Feldfrüchte nicht gediehen. Dem Brauch und den Gepflogenheiten dieses Landes entsprechend kam das Volk also zum König und bat ihn, den Regen zu bringen, und er verkündete, ein großes Regenfest abzuhalten, das wir alle besuchten.
An diesem Tag kamen alle Fürsten und
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